Hoechst will ganz nach oben

Hauptversammlung in Frankfurt: Durch Aufteilung des Konzerns soll die Pharmasparte zum Weltmarktführer werden  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) – „Say HERKST!“ steht auf den Hochglanzplakaten, die die Werbeleute des Pharma- und Chemiekonzerns speziell für den Absatzmarkt USA konzipiert haben. Bunte Fesselballons steigen in den Himmel über dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, dessen englischsprachige KonsumentInnen offenbar mit der Aussprache des Namens Hoechst mehr Probleme haben als mit seinen Produkten. Schließlich ist die neue Konzerngesellschaft Hoechst Marion Roussel (HMR) mit einem Marktanteil von 4,3 Prozent bereits die drittgrößte Produzentin von Medikamenten in den Vereinigten Staaten und Kanada.

Auch weltweit stand der Konzern mit dem deutschen Stammsitz 1995 auf Platz drei (3,6 Prozent der Weltproduktion). In Europa beträgt der Marktanteil 4,6 Prozent. Doch dem Vorstandsvorsitzenden von Hoechst, Jürgen Dormann, genügt diese Position nicht. Der Konzernchef will „First Global Player“ werden: größter internationaler Hersteller auf dem lukrativen Markt für Pillen, Salben und Seren. „Wir prüfen, ob die Zusammenführung der Pharmaaktivitäten in eine Gesellschaft möglich und sinnvoll ist“, sagte Dormann am Dienstag auf der Hauptversammlung von Hoechst in der konzerneigenen Jahrhunderthalle. Insider wissen längst, daß Dormann für Hoechst Marion Roussel (HMR) intern eigene Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen erstellen läßt. Das Ziel ist die Herauslösung der gewinnträchtigen Pharmasparte aus dem in mehr als 100 Jahren gewachsenen Chemiekonzern.

Bis zum Jahr 2000 soll HMR mit eigenen Aktien an den Börsen der Welt vertreten sein. Noch seien das nur „strategische Überlegungen“, sagte Dormann. Doch der Boß weiß auch, daß sich der Konzentrationsprozeß auf dem Pharmamarkt weiter fortsetzen wird: „Das Beispiel Novartis – der Zusammenschluß von Ciba und Sandoz – zeigt, wie eine verbesserte Technologie- und Marktposition erreicht werden kann, und gleichzeitig eine nachhaltige Wertsteigerung für die Aktionäre entsteht, wenn die richtigen Partner zusammenfinden.“

Wohin die Reise bei Hoechst geht, weisen alleine schon die Zahlen für die Zukunftsinvestitionen aus. So entfallen mehr als die Hälfte der gesamten Forschungsaufwendungen von 3,5 Milliarden Mark auf das „Geschäftsfeld Gesundheit“ (58 Prozent). Alleine die Entwicklung eines einzigen neuen Medikamentes läßt Hoechst sich 500 Millionen Mark kosten. HMR konzentriert sich deshalb auf die „erfolgversprechenden Anwendungsgebiete“ (Dormann) Herz, Kreislauf, Infektion, Stoffwechsel, Rheuma, Immunsystem, Nervensystem, Krebs und Atemwegserkrankungen.

Im Gegenzug wurden von Dormann im abgelaufenen Geschäftsjahr nicht mehr ins Konzept passende Bereiche abgebaut: Kosmetika, Keramik, Spezialphosphate und Druckplatten. Im laufenden Jahr soll dieser Prozess fortgesetzt werden.

Das klassische Chemiegeschäft stagniert. Neue Produkte werden nicht mehr entwickelt. Und die paar Millionen, die im Geschäftsbereich industrielle Chemie noch in die Forschung investiert werden, dienen ausschließlich der Verbesserung von Produktionsverfahren. Das, sagt Dormann, bringe immerhin „Fortschritte im Umweltschutz“. Dadurch gehe der Aufwand für nachgeschalteten Umweltschutz durch Kläranlagen, Abluftfilter oder Abfallbeseitigung zurück.

So ist eine Zweiteilung im Gange: Hoechst in Gestalt von Hoechst Marion Roussel (HMR) und die gemeinsam mit Schering betriebene Tochter AgrEvo mausern sich zum Pharma- und Biotechnologiekonzern mit Zukunft. Als Vertreter der alten Chemiebranche mutet der Restkonzern Hoechst dagegen an wie ein sterbender Riese. Schon nach der letzten Störfallserie dachte Vorstandschef Dormann laut darüber nach, die ökonomisch und ökologisch bedenklichen Altanlagen in Frankfurt-Höchst und Griesheim abreißen zu lassen.

Und die Arbeitsplätze? Personalabbau, sagt Dormann, sei zwar kein unternehmerisches Ziel, aber eine „notwendige Maßnahme auf einigen wettbewerbsintensiven Arbeitsgebieten, um international konkurrenzfähig zu bleiben“. Die ersten Tendenzen des Jahres 1996 sind da Bestätigung für Dormans Kurs: Exorbitante Gewinne bei Pharma und bei den bereits selbständig operierenden Konzerntöchtern Messer Griesheim und SGL Carbon. Und zusätzliche Gewinnerwartungen durch Desinvestitionen (weitere Verkäufe) auf weniger lukrativen Geschäftsfeldern.

Dagegen soll etwa AgrEvo durch verstärkte Investitionen den führenden Wettbewerbern Novartis und Monsanto in den nächsten zwei Jahren erneut Paroli bieten. Es gilt, das gentechnologisch veränderte AgrEvo-Produkt „Liberty Link“ weltweit auf den Märkten zu plazieren. „Liberty Link“ besteht aus dem Pflanzenschutzmittel „Liberty“ und gentechnisch verändertem Saatgut von Mais, Raps oder Soja.