Unsere schöne Dame des Lieds

■ Zurück zur Stimme: Zazie de Paris mit Chansons und Ensemble in den Kammerspielen

Am späten Samstagnachmittag ist die Halle des Hotels Atlantic wie der Festsaal im Bauch eines Ozeandampfers. Zazie de Paris sitzt auf dem prallen Ledersofa der ersten Sitzgruppe und winkt herüber. Im orangefarbenen Ensemble mit leopardengemustertem Halstuch ist sie gut sichtbar, und sicher ging es ihr weniger um die Ungestörtheit, die das Ambiente hier bietet. Nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit braucht Zazie den wohligen Schauer selbst eines nur kurz besuchten Luxus.

„Mein Problem ist, daß ich Interpretin bin“, meint sie. „Ich kann mich nicht einfach entscheiden, arbeiten zu wollen, ich brauche Menschen, die mit mir arbeiten wollen, die mich haben wollen.“

Zuletzt habe ich sie auf der Bühne des Metropolis gesehen, bei einer Benefizveranstaltung für ein Projekt der Filmerin Dorothee von Diepenbroick. Da gab es gemischtes Programm zwischen den Bildern auf der Leinwand, darunter auch Zazie, schulterfrei, freischwebend über der nach hinten wegsinkenden Bestuhlung des Kinos, mit Piaf natürlich, und dem Ausdruck, der ihrer ist, und der so stimmig ist wie ihre gesamte Figur, die kaum Kunstfigur ist, in allen Extremen.

Sie war acht Jahre alt, als sie mit klassischem Ballett begann, und zwölf Jahre war sie Tänzer an der Pariser Oper, das Stahlkorsett der Klassik immer mehr als unerträglich am Leib. Zwei Jahre noch bei Béjart, dann der Schritt in den freien Fall zwischen den Rollen und Geschlechtern: das Alcazar in Paris, wo sie vier Jahre glänzte. In Deutschland haben große Meister des Theaters mit ihr arbeiten wollen, Zadek vor allem, aber auch Savary oder Bondy. „Ich sage immer, daß ich Luxusstatistin bin. Beim Arbeitsamt haben sie mich ja auch, wie sie selber sagen, in die Abteilung „Lilliputaner“ gesteckt.“

Zuletzt stand sie in Zadeks Flop Der blaue Engel in Berlin auf der Bühne. Jetzt ist das Soloprogramm Die Wiederherstellung einer Diva ein Neubeginn. „Dabei mache ich nicht nur Tralala, ich verteidige einen gewissen Anspruch. Jedes Chanson ist eine kleine Geschichte, in drei Minuten zu erzählen, mit allem, was man im Bauch und im Intellekt hat. Verletzungen fließen da ein, Gefühle, Beobachtungen, und wenn man das Glück hat, auftreten zu dürfen, klingt es schon deshalb echt. Man kann alles finden. Daß ich falsch singe, daß meine Fingernägel zu rot sind, daß mein Decolleté zu tief ist, was auch immer. Aber nicht, daß es nicht glaubwürdig ist.“

Nun ist sie also wieder da, singend auf der Bühne, die Chansons gebend, die ihr am wichtigsten sind. Zwei Teile hat der Abend, einen französischen und einen deutschen, wie ihr eigenes Leben. „In diesem Programm geht es um die Wiederherstellung der „Madame Chanson“, die ein irrsinniges Schicksal hatte, vom populären Chanson über das politische, die sich in Kneipen herumtreiben mußte, und auf der Straße, wo sie le trottoir gemacht hat. Und immer wieder kommt sie aus ihrer eigenen Asche heraus.“

Genau das macht auch die Ausstrahlung von Zazie zum Teil aus: Der ungebrochene Wille zur Selbstschöpfung, die Kraft, sich jeden Morgen am eigenen Haarschopf in den Tag zu ziehen und einen schönen Tag aus ihm machen zu wollen, das Bewußtsein, sich selbst dahin bringen zu können, daß das, was geschieht, auf angenehme Weise geschehen kann – und daß es auch etwas mit der Art zu tun hat, in der man den Dingen begegnet.

Thomas Plaichinger

Nur heute, 23.00 Uhr, Kammerspiele