Sanssouci: Vorschlag
■ Das Klo ist das Herz aller Dinge – Die Präsidentinnen im Schlot
Die Wohnküche ist ein Lieblingsort des neueren deutschen Dramas. Auch Werner Schwabs „Präsidentinnen“ hausen dort. Aber vom sozial engagierten Wohnkucheldrama ist dieses „Schrottwerk mit drei alten Frauen“ (Schwab) Lichtjahre entfernt. Wie alle Figuren des Frühverschiedenen sind Erna, Grete und Mariedl nicht Herrinnen der Worte, die sie sprechen – die Sprache bedient sich ihrer, um laut zu werden. „Wenn das Leben einen Stuhl macht, dann ist das die Vorsehung, da kann man gar nichts machen“, weiß Grete, eine aufgedonnerte Rentnerin mit Dackel, die sich nach Liebe sehnt. Die bigotte, irrwitzig geizige Erna findet: „Das Leben treibt gar manche abgrundtiefe Blüte in diesem Tale der Tränen.“ Und selbst die demütige Mariedl erobert den Urgrund des Daseins, wenn sie ohne Gummihandschuhe tief ins verstopfte Klo greift und in den Abflußrohren französisches Parfüm entdeckt. Scheiße wird zu Goldstaub. Die erniedrigten „Präsidentinnen“ träumen von ihrer Erhöhung. Jede hat auch eine gräßlich-groteske Vergangenheit. So kommt es, daß die scheinbar leblosen Sprachzombies plötzlich zu gruseliger Vitalität erwachen.
„Die Präsidentinnen“ ist die erste Produktion der neu gegründeten Gruppe Agathon, die auch in Zukunft vor allem Grotesken spielen will. Die Germanistikstudentin Antje Schnellert hat die Fäkalfarce sehr naturalistisch – und gerade deshalb gegen den Strich – inszeniert. Im Hintergrund der Wohnküche hängt das Kruzifix, auf einem Podest glänzt als Herz aller Dinge das Klosett. Erna (Inge Sievers-Schröders) ist von der Sparsamkeit ganz ausgezehrt, sittsam sitzt sie am Tisch, die Arme dicht am Körper, die Füße eng beieinander. Nur wenn sie vom frommen Metzger Wottila schwärmt, stiehlt sich die Zunge aus dem verkniffenen Mund und schlängelt sich hexenhaft zur Nasenspitze empor. Die dicke Grete (Heike Müller-Reichenwallner) stampft energisch durch den Raum und posiert auf dem Tisch wie die Venus von Milo. Ganz unwiderstehlich ist die kindlich unbeholfene und doch alterslose Mariedl (Irene Holzfurtner): Brav stützt sie das Kinn auf die Tischkante, springt auf und fuchtelt verzückt mit den Ärmchen, wenn sie die Wonnen der Klosettreinigung schildert. Geschlachtet wird sie im Dunkeln. Die mörderisch gemütliche Lebensechtheit bekommt dem Antiwohnkucheldrama überraschend gut. Schwab hätte es gefallen. Miriam Hoffmeyer
Heute und morgen, danach bis 20.6. immer donnerstags, Beginn jeweils 20 Uhr. Schlot, Kastanienallee 29, Prenzlauer Berg,
Tel.: 4427672
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