Das Wrack, der Hof und das Klo

■ Aufräumarbeiten, Flüche und Nachdenklichkeit bestimmten gestern in Prenzlauer Berg den Tag nach den Krawallen. Schüler sollen im Kunstunterricht nach den Gründen forschen

Prenzlauer Berg am Tag danach: Der ausgebrannte Volvo in der Wörther Straße ist von Schülern umringt. Mit krickeligen Strichen versuchen sie, das Wrack und die verschmorten Reifen auf ihre Zeichenblöcke zu bannen. Die Achtkläßler der 4. Gesamtschule in der Danziger Straße sind von ihrer Kunstlehrerin losgeschickt worden.

„Wir sollen durch die Straßen am Kollwitzplatz laufen und alles aufmalen, was am 1. Mai beschädigt worden ist“, erzählt eine 14jährige. Wer keine Lust dazu hatte, sollte in der Schule bleiben und die Ereignisse aus der Erinnerung malen. In der nächsten Unterrichtsstunde wolle die Lehrerin anhand der Zeichnungen mit der Klasse darüber diskutieren, „warum hier am 1. Mai immer so was passiert“.

Ja, warum? Die Mädchen stupsen sich gegenseitig in die Rippen und kichern. „Weil's immer so lustig ist, wenn man vor den Bullen wegrennen muß“, sind sie sich einig. „Man muß nur aufpassen, daß man keine Kloppe kriegt und nicht mit KO-Gas angeschossen wird.“ Die Jungen der Klasse sind der gleichen Ansicht. „Logisch waren wir unterwegs“, nicken alle. Ob sie verstehen, daß die Anwohner über die ständigen Krawalle genervt sind? „Das ist doch nur einmal im Jahr und nicht ständig.“

Ein paar hundert Meter weiter kündet eine über die ganze Hauswand der Kollwitzstraße 62 gezogene Parole von der Wut über das Vorgehen der Polizei in der Walpurgisnacht: „Nicht die, die Feuer machen, sondern die, die Feiernde mit Tränengas beschießen, provozieren den Krawall. Wir haben es verlernt, unter Polizeiaufsicht zu feiern, und wollen es auch nicht erlernen.“ Über den Bürgersteig schlendern zwei 17jährige Männer. Sie haben ihre langen blonden Haare zu Pferdeschwänzen zusammengebunden, tragen bis zu den Waden reichende schwarze Mäntel und haben Rucksäcke geschultert. „Wir wollten uns mal den Sachschäden angucken“, erzählen die beiden Schüler der Charlottenburger Erich-Höppner-Schule bereitwillig. Auch in den Krawallnächten seien sie vor Ort gewesen, aber nur um „zu beobachten“, sagt der eine. Sie seien keine Linken, sondern „eher rechts eingestellt“. Sein Freund mit den silbrig glänzenden Schienbeinschützern an den Stiefeln analysiert: „Hier geht es doch nicht um Politik, sondern nur um die Freude am Krawallmachen.“

Ein BSR-Mann im orangeroten Westchen fegt langsam und gleichmäßig die Straße. Unter der Kehrbürste sammeln sich vor allem grüne Scherben von Bierflaschen. „Im letzten Jahr war es viel schlimmer“, stellt er emotionslos fest.

In Tonis Snackbar in der Wörther Straße drückt ein 50jähriger Anwohner auf die Tasten des Spielautomaten. Er erzählt, daß viele Nachbarn am 1. Mai aus Angst vor Krawallen aus dem Kiez geflüchtet seien. „Zwei Jahre Knast, davon ein Jahr in Einzelhaft. Dann ist Ruhe“, lautet sein Tip für die „Chaoten“.

Der Händler des Obst und Gemüseladens auf der anderen Straßenseite nuschelt unwillig: „Die sollte man einfach alle aufs Feld stellen. Da können die sich gegenseitig die Köppe einschlagen.“ Zwei Hausfrauen, die einen Handwagen über den Bürgersteig schieben, sehen das etwas differenzierter: „Wenn die Jugendclubs alle zumachen und es keine Lehrstellen gibt, ham die eben Langeweile und spiel'n Macke.“

Im Szenecafé Westphal wird gerade gefrühstückt. „Die Walpurgisnacht war arg vertouristet“, stöhnt eine 27jährige Künstlerin über den massenhaften Andrang der an die 10.000 Besucher. „Es gab nichts zu sehen und nichts zu tun. Die Stimmung war wie Warten auf Godot“, ergänzt ihr 35jähriger Freund nüchtern. „Nur getrunken wurde reichlich, aber es gab keine Klos.“ Hunderte von Leuten hätten deshalb den Hinterhof der Kollwitzstraße 66 zu einem „großen Urinal degradiert“. Plutonia Plarre