Mutter Fernseher, Vater Computer

■ Die "Softmoderne" im Podewil beschäftigt sich drei Tage lang mit der Literatur im digitalen Zeitalter. Ein Gespräch mit dem Internetautor Mark Amerika über Sub Pop, Avant Pop und die Zukunft der Schrift

Mark Amerika ist Autor der traditionellen Romane „The Kafka Chronicles“ und „Sexual Blood“. Mit „alt x“ gründete er vor drei Jahren eines der ersten Literaturmagazine im World Wide Web, das in den USA inzwischen als das wichtigste Forum elektronischen Publizierens gehandelt wird. Zum Leidwesen der großen Verlage, denen das neue Medium Kopfzerbrechen bereitet.

taz: Mark, was ist die Idee hinter „alt x?“

Mark Amerika: Es ging darum, ein elektronisches Verlagsnetzwerk zu gründen. Im traditionellen Verlagswesen müssen Autoren ihren Weg durch ein ausgeklügeltes System zwischengeschalteter Kontakte mit verschiedensten Leuten in der Verlagsindustrie finden, die nicht eigentlich mit dem kreativen Prozeß zu tun haben: Herausgeber, Agenten, Lektoren, Marketing- und Vertriebsleute.

Mit „alt x“ wollte ich einen direkteren Weg zum Publikum schaffen. Nicht nur für meine eigenen Texte, sondern auch für die anderer Autoren, daher die Betonung auf Netzwerk: Inzwischen sind an dem Projekt über hundert Leute weltweit beteiligt. Es geht darum, ein eigenes Publikum aufzubauen.

Also um die Einführung des Pop-Modells Independent Label in den Literaturbetrieb?

Der Tod des Lektors

Genau. Seit jeher hat die Verlagsindustrie alles daran gesetzt, die Vorstellung zu propagieren, daß der Selbstverlag eine illegitime Angelegenheit ist: Wenn man jeden machen läßt, was er will, endet man in einer Flut sinnloser Information.

Aber auch wenn das stimmt, sehen wir uns der Tatsache gegenüber, daß die großen Verlagshäuser erstarrt sind. Die traditionelle Figur des Lektors, der über eine gewisse Freiheit verfügt und die Karrieren junger und damit fürs erste unrentabler Autoren langfristig planen konnte, existiert nicht mehr. An seiner Stelle sitzen jetzt Leute, die sich noch Lektoren nennen, aber eigentlich Verkaufs- und Marketingspezialisten sind. Die sind einfach nicht mehr in der Lage, einzuschätzen, was da draußen neu und interessant sein könnte.

In einer ähnlichen Situation war die Musikindustrie, als die Leute plötzlich anfingen, ihre eigenen Labels zu gründen. Bis jetzt ist das in der Literatur noch nicht passiert, weil wir keinen Zugriff auf die Distributionskanäle hatten. Mit dem Internet wird ein neues Distributionsparadigma eingeführt, auf das die großen Verlage nicht vorbereitet sind. So wie auf dem musikalischen Sektor das Phänomen Sub Pop in Seattle auftauchte, sehen wir jetzt das Phänomen Avant Pop in der Literatur: Sand im Getriebe des Verlagswesens.

Avant Pop bezeichnet u. a. Texte von Autoren, die neue literarische Formen wie Hypertext im Netz ausprobieren. Der Name deutet darauf hin, daß hier das Beste beider Welten fusioniert werden soll.

Dabei war keine Strategie im Spiel. Es ist eine Bezeichnung für ein Phänomen, keine Bewegung. Die Autoren meiner Generation sind in einer mediatisierten, digitalisierten Popkultur aufgewachsen. Ich habe Freunde, für die Stereoanlage, Fernseher und Computer fast wie Ersatzeltern waren. Wenn man älter wird und sich entscheidet, Künstler oder Schriftsteller zu werden, kann man das Zeug nicht einfach vergessen. Wenn man noch dazu daran interessiert ist, innovative und neue Formen zu finden, die subversiv im Mainstream wirken sollen, und weiß, daß das ein Teil avantgardistischer Tradition ist, ist es möglich, sich mit Pop- und Computerkultur und sogar Fernsehshows verbunden zu fühlen. Und dabei gleichzeitig mit moderner Literatur und all den verschiedenen Avantgardebewegungen des 20. Jahrhunderts vertraut zu sein. Sicher sickern popkulturelle Bezüge in meine Arbeit ein, ob ich will oder nicht. Vehement zu versuchen, sie zu disziplinieren und loszuwerden, würde eine Erfahrung negieren, die fundamental für das Leben zumindest in den USA ist. Die Bezeichnung selbst kam von einem Jazz-Album von Lester Bowie.

„alt x“ ist im Augenblick Schauplatz einer Debatte, in der unter anderem die Frage verhandelt wird, ob Intellektuelle die Massenmedien und das größere Publikum konservativen Denkern überlassen sollten.

An kritischen intellektuellen Theorien festzuhalten ist das eine. Andererseits kämpft man als alternatives Medium ums Überleben auf dem Markt. Die Frage ist, ob man seinen Stil verändern muß, um seine Ideen einem größeren Publikum zugänglich machen zu können, oder ob man sie in der elitären Sphäre der Kunst belassen will, und damit weniger Effekt erzielt. „alt x“ hat das Problem jetzt: Es hat als Kunstprojekt angefangen, als eines der ersten elektronischen Magazine inzwischen aber eine Reputation als der Ort für Literatur im Cyberspace. Es besitzt eine Art Markennamen und damit spekulativen Marktwert. Jemand hat uns als die Apple-Computer des elektronischen Publizierens bezeichnet.

Das multimediale Erzählen

In einem Text heißt es: „Das Buch mag tot sein, aber die Erzählung hat erst begonnen.“ Wird die elektronische Literatur eine Renaissance des geschriebenen Worts bringen?

Es gibt ein Alptraumszenario, in dem PC und TV fusionieren, wobei der Inhalt vor allem durch schlechtes Fernsehen dominiert sein wird. Statt 60 wird es im World Wide Web Zehntausende Kanäle mit schlechtem Fernsehen geben: Klicken Sie hier für diesen Film. Aber im Augenblick nutzen Menschen das Netz zur Kommunikation, und zwar nicht via Stimme oder Bild, sondern via Text. Text funktioniert wegen der Bandbreiten im Internet immer noch am besten. Wenn es darum geht, narrative Formen zu entwickeln, ist es am einfachsten und billigsten, Ideen in Worten auszudrücken. Die Zukunft wird natürlich in einer multimedialen Erzählform liegen. Aber das Narrative wird von großer Bedeutung sein, das verschiedene rhetorische Formationen verbindet.

Man muß nicht immer Romane in Buchform schreiben. Das Netz wird deswegen aber nicht das Buch obsolet machen. Beide Formen werden nebeneinander existieren, und unser Projekt sorgt dafür, Menschen wieder für Sprache, Geschichten und auch Bücher zu interessieren. Interview: Ulrich Gutmair