Fusionsgegner haben Angst vor Ethik

taz-Serie Fusion: Befürworter setzen auf eine bessere Zusammenarbeit in der Schul- und in der Hochschulpolitik. Gegner fürchten dagegen Ethikunterricht und Einsparungen  ■ Von Torsten Teichmann

Wolfgang Zügel überlegt eine Weile, welche Vorteile ein gemeinsames Land Berlin-Brandenburg für Schüler und Lehrer bringen kann. Der Sprecher der Senatsschulverwaltung resümiert schließlich: „In unserem Bereich ist eine Fusion nicht dringend notwendig.“ Aber kommt es nicht zur Ländervereinigung, soll Brandenburg für die gut 3.000 Schüler bezahlen, die täglich in Berlin die Schulbank drücken.

Neben den Gemeinsamkeiten im Schulsystem – beide Länder tauschen ganze Rahmenpläne aus – gibt es Unterschiede, die in einem gemeinsamen Land möglicherweise nicht bestehen bleiben werden. Allerdings soll gerade der Artikel 46 des Fusionsvertrages den Berlinern die Angst nehmen, sie bekämen das Brandenburger Schulsystem „übergestülpt“, sagt Zügel. Der Artikel ist eine Bestandsgarantie für das besonders von der CDU favorisierte dreigliedrige Schulsystem mit Haupt-, Realschulen und Gymnasien.

Zügels Amtskollege in Brandenburg, Boris Fahlbusch, hält den Paragraphen dagegen für „überflüssig“. Denn im Flächenland Brandenburg sei das konventionelle Schulsystem nicht überall sinnvoll – unter anderem weil die Brandenburger die Gesamtschule bevorzugten. So gäbe es beispielsweise in der Uckermark – ein Gebiet so groß wie das Saarland – gerade einmal genügend Interessenten für eine einzige Hauptschule. Würde man diese Schule einrichten, hätten die Kinder „wahnsinnige Fahrzeiten“, sagt Fahlbusch. Neben dem Streit um das richtige Schulsystem führen Berliner Fusionsgegner als Argument gegen eine Fusion das brandenburgische Versuchsfach „Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde“ (LER) an.

Brandenburgs Lehrer hingegen fürchten, von überzähligen Beamten aus Berlin verdrängt zu werden. Eine gemeinsame Planungskommission soll das allerdings verhindern. Eine Zusammenarbeit bei der Schulbuchzulassung, der Datenvernetzung von Schulen und einer gemeinsamen Schulaufsicht soll die unterschiedlichen Systeme weiter angleichen.

Über ein neues Schulgesetz könne auch noch die gemeinsame Landesregierung verhandeln, so Zügel. Diepgen ist sich bereits sicher, daß die Schulbuchfreiheit in Berlin wegfallen und durch das Brandenburger Modell ersetzt werden wird, wonach Eltern ein Drittel der Bücherkosten tragen. Brandenburgs Bildungsministerin Angelika Peter (SPD) relativiert diese Befürchtung: Das Bildungswesen in der gesamten Republik stehe vor Veränderungen, die „viel gravierender sind“ als Neuerungen bei einer Fusion.

Bei den Hochschulen ist für Berlin-Brandenburg vieles ungewiß. Wie schnell werden die Prüfungsinhalte angeglichen? Was wird aus Tutoriumsverträgen, die in Berlin gelten? Wie werden Verwaltungsangestellte eingruppiert? Und wie können die naturwissenschaftlichen Forschungsparks Golm und Adlershof nebeneinander existieren? Fragen, die eine gemeinsame Hochschulstrukturkommission klären wird.

In Berlin warnt Kerstin Schneider, Sprecherin der Wissenschaftsverwaltung, vor allzuviel Optimismus: „Für große Visionen ist bei unserer finanziellen Lage kein Platz.“ So finanziert der Senat – unabhängig von der Fusion – nur noch 85.000 Studienplätze, obwohl Berlin im Staatsvertrag 100.000 Studienplätze zugesichert hat. Aufgrund der Haushaltslage sind die Studienmittel so knapp, daß die Bibliotheken der Freien Universität (FU) dieses Jahr keine neuen Bücher mehr kaufen können, am Otto-Suhr-Institut die Bibliothekare drei von vier Zeitungen abbestellen und Studenten mangels Bunsenbrennern Reagenzgläser mit dem eigenen Feuerzeug auf Temperatur bringen müssen.

Die Wissenschaftsverwaltung verspricht sich vom Umzug der Bundesregierung mehr Vorteile als von der Länderehe. „Mit der Regierung kommen Wirtschaft und Forschung in die Stadt“, meint Schneider. Dann könne eine Erhöhung der Zahl von Studienplätzen mit Drittmitteln finanziert werden.

Die Brandenburger Landesregierung will dagegen bis zum Jahr 2004 zwei Milliarden Mark Landesmittel in den Ausbau ihrer Hochschulen stecken. Die Zahl der Studenten soll sich auf 32.000 verdreifachen. „Wir haben jetzt schon vier Fünftel des Personals“, sagt Martin Gorholt, Sprecher des Brandenburger Forschungsministers Reichel. „Wir brauchen eine Fusion“, bekräftigt der Referent, „damit nicht wieder so unsinnige Entscheidungen getroffen werden, wie die Schließung der landwirtschaftlichen Fakultät an der Humboldt-Universität.“