Anwohner fordern Mittagspause für Tegelflieger

■ Heute entscheidet Oberverwaltungsgericht über mögliche Einschränkungen des Flugbetriebs. Einigungsvertrag hebelte die sonst notwendige Planfeststellung aus

Seit mehr als fünf Jahren kämpfen Anwohner des Flughafens Tegel für die Reduzierung des Flugbetriebs und die mittelfristige Stillegung des größten Berliner Flugplatzes. Tegel wurde 1948 als Militärflughafen errichtet und wird seit 1960 auch für den Zivilluftverkehr genutzt. Gestern nun nahm das Oberverwaltungsgericht (OVG) die mündliche Verhandlung auf.

Zieht sich ein Verfahren bereits mehr als sechzig Monate hin, kommt es auf einige Minuten mehr oder weniger nicht an. So feilten die Beteiligten gestern lange Zeit an der richtigen Formulierung eines Einspruchs der Kläger. Nur einigen aufmerksamen Zuhörern im vollbesetzten Saal war es zu verdanken, daß sich das Gericht nicht im Paragraphendschungel verlor und ein wichtiges Wörtchen vergaß. Erst als einige Zuschauer aufgebracht „Es muß nicht heißen“ riefen, traf das Gericht die richtige Formulierung: Das Land Berlin solle von der Berliner Flughafen GmbH verlangen, „den Nordteil des Flughafens nicht für den Bundesgrenzschutz, die Polizei, die Flugbereitschaft und ausländische Fluggäste der Bundesregierung zu nutzen.“ Weitere Forderungen: die Ausweitung des Nachtflugverbots und die Einführung einer Flugpause über Mittag.

So einfach die Forderungen klingen, so kompliziert ist der Sachverhalt. Das bescheinigte selbst der Präsident des OVG, Dieter Wilke, der Verhandlung. Der Flughafen Tegel unterstand bis 1990 den französischen Luftstreitkräften, die sich alle Entscheidungen im Luftverkehr vorbehielten. Ein Planfeststellungsverfahren, wie es seit 1958 für den Bau von Flughäfen erforderlich ist und bei dem Bürger Einwände vorbringen können, wurde 1990 durch einen lapidaren Satz im Einigungsvertrag „ersetzt“: „Die Flughäfen Tegel, Tempelhof und Gatow gelten als genehmigt und planfestgestellt im Sinne des Luftverkehrsgesetzes.“ Damit wurde den Flughäfen nach Ansicht der Senatsverkehrsverwaltung die luftverkehrsrechtliche Genehmigung erteilt. Der Präsident des OVG indes scheint daran seine Zweifel zu haben: „Entspricht das, was der Gesetzgeber gemacht hat, einer Planfeststellung?“ stellte er gestern in den Raum.

Flughäfen, die vor 1958 in Betrieb waren, müssen nachträglich kein Planfeststellungsverfahren durchlaufen. Das gelte jedoch nicht für spätere bauliche Veränderungen, argumentiert Klaus- Martin Groth, der Anwalt der Kläger. Die Kapazität in Tegel sei durch diverse Umbauten nach der Wende und die durchgängige Nutzung der südlichen Start- und Landebahn als ehemalige Ersatzpiste „deutlich erhöht“ worden.

Am 15. Mai will die Geschäftsführung der Berlin Brandenburg Flughafen Holding entscheiden, ob der Großflughafen in Sperenberg oder Schönefeld gebaut wird. Nach Ansicht der Kläger wäre es „unverantwortlich“, Sperenberg abzulehnen. Dort würde im Vergleich zu den „400.000 möglicherweise gefährdeten Menschen“ im Wohnbereich des Flughafens Tegel „nur ein Bruchteil“ betroffen sein. Groth verwies auf ein Schreiben der Senatsverkehrsverwaltung an das Land Brandenburg, in dem es heißt, daß ein langfristiger Weiterbetrieb innerstädtischer Flughäfen den Zielen des Umweltschutzes widerspreche. Heute wird das OVG das Urteil verkünden. Barbara Bollwahn