Platzwart Merk läßt das Törtchen flutschen

■ Das WM-Viertelfinal-1:6 lehrt: Die Tschechen können immer noch Schlittschuhlaufen, die Probleme der Deutschen werden eher größer – egal, ob Kingston oder Zach trainiert

Wien (taz) – Die Sirene in der Wiener Stadthalle verdient den Namen nicht. Eine Sirene jault, summt, quäkt, röchelt. Niemals jedoch klöppelt sie scheppernd wie ein schrottreifer Riesenwecker. Genau das tut aber die Sirene in der Wiener Stadthalle zum Drittelschluß.

Drei Sekunden, bevor der Wecker im Spiel Deutschland–Tschechien ging, schlenzte Stanislav Neckar den Gummi noch einmal nachlässig in Richtung des deutschen Tores. Völlig unambitioniert, von der Mittellinie, nie im Leben auf einen Erfolg hoffend, erzielte er das sicher albernste Tor seines Lebens. Klaus Merk nämlich lehnte wie der Platzwart in seinem Kasten, bereits über seine nicht gerade umwerfende Leistung nachsinnend, und ließ das schwarze Törtchen durch die Schlittschuhe flutschen – 1:6. Armer Merk. Am liebsten hätte man ihn in den Arm genommen. Sechs Tore kassiert und trotzdem deutscher Spieler des Tages. Eine Tatsache, die ihn sichtlich beschämte. Denn eigentlich war Klaus Merk eher schlecht. Doch auch ein anderer Torwart hätte das Spiel nicht retten können.

Die Tschechen waren einfach zu gut. In allen Belangen mindestens eine Klasse besser. Natürlich – möchte man fast sagen – im technischen Bereich. Vor allem, wenn es schnell und eng wurde. Und die Spieler in Rot setzten alles daran, es schnell und eng zu machen. Mit exzellenter Raumaufteilung, mit traumhaft sicherem Positionsspiel. Überbleibsel aus den schlechten, alten Sozialismuszeiten und gleichzeitig der praktizierte Beweis, daß die Idee des Kollektivs durchaus was für sich haben kann. Dann nämlich, wenn zur Lösung kreativer Probleme Kreativität nötig und Individualismus in bestimmten Situationen durchaus am Platze ist. Und: wenn man die richtigen Leute dafür hat. Im Falle tschechischen Eishockeys jedenfalls ein prima funktionierendes Relikt.

Für das Schlittschuhlaufen, eine sicher nur am Rande mit dem Sozialismus zu verknüpfende Fähigkeit, scheinen die Spieler aus Prag und Budweis ein natürliches Talent zu haben. In manchen Situationen wirkten die anderen wie – pardon – Tanzbären gegen die beweglichen und explosiven Tschechen. Sie hätten diese wohl auch gerne öfter in Zweikämpfe verwickelt, allein, sie wurden ihrer nur selten habhaft. Im Ernst und ohne jede Häme: So was können die deutschen Spieler nicht. „Das ist ein Niveau, auf dem wir nur zeitlich bedingt mithalten können. Wenn wir sehr hart arbeiten“, sagte Coach George Kingston. Das bedeutet, daß es nur für ein bis zwei sehr gute Spiele pro WM-Turnier langt.

Von daher handelte es sich diesmal um ein sehr gutes Turnier, denn wenn man den Auftakt gegen die noch etwas tranigen Russen einrechnet, waren es sogar drei gute Spiele. Die Spieler sind, wie Dany Novak von den Schwenniger Wild Wings, relativ zufrieden: „Wir haben mit Ausnahme des Slowakei-Spieles ein gutes Turnier gemacht und können erhobenen Hauptes heimfahren. Immerhin haben wir die Kanadier geschlagen.“ Und das Viertelfinale erreicht. „Das Klassenziel“, wie es DEB-Präsident Rainer Gossmann formulierte.

Trotzdem sitzengeblieben. Ein Platz unter den ersten sechs ist derzeit nach wie vor utopisch. Aber: zumindest nicht ganz herauskatapultiert aus der höheren Lehranstalt. In die Niederungen der B-Klassen-Sonderschule. Wie lange noch? Die Struktur des deutschen Eishockeys ist nun mal nicht so, daß mit einer stabil sprudelnden Nachwuchsquelle zu rechnen ist. Auf absehbare Zeit werden deutsche Klassespieler die absolute Ausnahme sein, und die Probleme des Bundestrainers werden mit großer Wahrscheinlichkeit nicht ab-, sondern zunehmen. Was Kingston nicht schrecken sollte, denn Leute, die ihn gut kennen behaupten, daß ihn eine Aufgabe mit zunehmender Komplexität zunehmend interessiere. Speziell natürlich deren Lösung.

Ob man es ihn versuchen läßt, wird sich in den nächsten Wochen klären. Erich Kühnhackl würde auch gern Bundestrainer werden – und Hans Zach ist die ganze Zeit wie ein Schemen durch die Räume der Wiener Stadthalle gewandelt. George Kingston sagt nicht viel dazu: „Ich habe einen Vertrag, und den würde ich gerne erfüllen.“ Was nicht allzuviel bedeutet. Vertragsende ist schon am 15. August dieses Jahres. Albert Hefele