„Kunst des Servierens“ etc.
: 98 Prozent flimmpeymannbrethfrei

■ Heute beginnt das 33. Theatertreffen in Berlin. Die Riege der großen Regie-Intendanten ist wegen „Formkrisen“ diesmal allerdings kaum vertreten

Nachdem das Theatertreffen im letzten Jahr mit seinem Bettelstab immerzu donnernd auf die Pauke haute, schleicht es in diesem Jahr wohlgenährt und geradezu lautlos heran. Und zwar „mit neuen Ideen und veränderter Struktur“, wie Festivalleiter Torsten Maß im Begleitheft versichert. Sagen wir: variierter Struktur und vor allem einem neuen Finanzierungskonzept.

Die Kritikerjury wurde auf fünf Personen verkleinert: Gerhard Jörder, Dieter Kranz, Sigrid Löffler, Michael Merschmeier und Andres Müry sind im Amt und bleiben da zunächst drei Jahre. Mit einem Mehrheitsvotum von mindestens drei Fünfteln laden sie zehn deutschsprachige Inszenierungen ein, die sie für „bemerkenswert“ und „repräsentativ“ für die gegenwärtige Ästhetik des Theaters in Deutschland, Österreich und der Schweiz halten.

In diesem Jahr haben einerseits einige jüngere RegisseurInnen andererseits eher klassische Stücke inszeniert. Daß außer Frank Castorf (und Heiner Müller) die Regie-Intendanten Flimmpeymannlanghoffbreth fehlen, erklärt Löffler schonungslos „mit Formkrisen, mit Langzeitstreß, mit Kräfteverschleiß, mit Überforderung durch die Doppelbelastung“. Statt dessen kommen und treten zwischen 3. und 21. Mai in verschiedenen Berliner Theatern auf:

– das Düsseldorfer Schauspielhaus mit Shakespeares „Sommernachtstraum“ (Regie: Karin Baier)

– das Berliner Ensemble mit Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ (Regie: Heiner Müller)

– das Schauspielhaus Hamburg mit „Stunde Null oder Die Kunst des Servierens“ (Konzept und Regie: Christoph Marthaler) und

– Brechts „Puntila“ (Regie: Frank Castorf)

– das Nationaltheater Mannheim mit Ibsens „Baumeister Solness“ (Regie: Gerhard Willert)

– das Schauspiel Stuttgart mit „Blunt oder Der Gast“ von Karl Philipp Moritz (Regie: Elmar Goerden)

– das Schauspiel Bonn mit Arthur Millers „Der große Knall“ (Regie: David Mouchtar-Samorai)

– das Thalia Theater Hamburg mit „Der Streit“ von Marivaux (Regie: Sven-Eric Bechtolf)

– das Theater Neumarkt Zürich mit „Wahlverwandtschaften“ nach Goethe (Regie: Stefan Bachmann)

– das Burgtheater Wien mit Tschechows „Kirschgarten“ (Regie: Peter Zadek)

Warum diese Inzenierungen und nicht andere und keine einzige aus dem Osten Deutschlands, wird die Jury wie jedes Jahr in einer Abschlußdiskussion zu erklären versuchen, und wie in jedem Jahr wird sie Enttäuschte, Gelangweilte und Nichteingeladene nicht überzeugen können. Das hat Tradition.

Neu ist indessen eine größere Öffentlichkeit für die Theatertreffen-Inszenierungen, gekoppelt an eine feine Zusatzeinnahme: 3sat wird drei Aufführungen live übertragen und zwei weitere als Aufzeichnung senden (wenden Sie sich an eine Programmzeitschrift Ihres Vertrauens). In diesem Zusammenhang wird wohl in irgendeiner Form die alte Debatte um den Verlust des spezifisch theatralischen Moments wieder aufgenommen werden, aber die Vorteile einer heimischen Fernsicht auf Theater liegen ebenfalls auf der Hand. Zumindest in Berlin könnte es zu einem üppigeren Besuch der Inszenierungsgespräche im Zelt führen.

Apropos Zelt. In dem Gartenbierzelt, das letztes Jahr vor dem Deutschen Theater stand, schwitzen in diesem Jahr andere Leute, denn das schnuckelige, historische Spiegelzelt kann wieder bezahlt werden. Zeitgleich gastiert übrigens Peter Brook mit „Qui est là“, einer Produktion des Centre International des Créations ThéÛtrales in der Schaubühne, und Peter Zadek wird am 19. Mai 70 Jahre alt, was auch nicht unbefeiert bleibt.

Außerdem gibt es wieder einen Stückemarkt mit sechs Werken mehr oder weniger junger Dramatiker – wirklich, alles Männer: John von Düffel, Dominik Finkelde, Tim Krohn, Moritz Rinke, Michael Roes und Stefan Schütz. Und Heiner Müller bekommt posthum den Theaterpreis Berlin verliehen, was die Stiftung Preußische Seehandlung keinesfalls als Nachklapp zum Nachruftaumel verstanden wissen will, weil sie ihre Entscheidung bereits vor Müllers Tod, im vergangenen November, getroffen hat.

Ganz anders als der Riege der Regie-Intendanten kann man dem Theatertreffen also keine Formkrise nachsagen – alles weitere wird sich zeigen. Petra Kohse

Weitere Informationen bei den Berliner Festspielen, Telefon: 030-254 89 223