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Erst handeln, dann denken

■ Die Innenminister und die bosnischen Flüchtlinge

Stichtage, Kontingente, Stufenpläne – deutsche Flüchtlingspolitik hat etikettierbar zu sein. Irgendein technokratisches Raster braucht man, kompatibel mit dem Denkradius eines Bürokratenhirns. Nur so lassen sich Flüchtlinge en gros verwalten, vor allem wenn man sie loswerden will.

Nach diesem Schema haben die Innenminister von Bund und Ländern im Januar gleich zweierlei beschlossen: Bosnien-Herzegowina ist ein befriedetes Land. Und ab 1.Juli 1996 hat es dort gefälligst gefahrlos zu sein – zumindest für Flüchtlinge aus Deutschland, denn die sollen dann zurück.

Seit diesem Beschluß hatten die Innenminister gut drei Monate Zeit – Zeit zu realisieren, daß sich ein friedliches Zusammenleben auf dem Balkan nicht größenwahnsinnig an fernen deutschen Konferenztischen verordnen läßt. Zeit einzusehen, daß ihr Rückkehrbeschluß nicht nur übereilt war, sondern auch noch der allerunsinnigsten Logik folgte: Wer alleinstehend ist oder keine minderjährigen Kinder hat, soll zuerst zurück.

Das Haus in Bosnien ist ein Schutthaufen? Die Männer aus dem Nachbardorf sind Mörder, Brandschatzer und Vergewaltiger? Die serbischen Nachbarn drohen mit Zaunlatten? Erste Rückkehrer sind erschossen worden? Nicht auf Karteikärten und Formblättern erfaßbar. Deutsche Flüchtlingspolitik will etikettierbar sein – die Realität ist es nicht.

Mit ihrem „Rückführungsplan“ haben sich die Innenminister längst ins Abseits manövriert. Sie haben das UN- Flüchtlingshochkommissariat brüskiert, die europäischen Amtskollegen entsetzt, den Rat sämtlicher Fachleute ignoriert und sich den Ruf der gnadenlosen Inkompetenz eingeheimst. Die Klügeren in der Ministerrunde haben das längst gemerkt. Doch keiner traut sich, den eigenen Irrtum auch zuzugeben. Jetzt werden kleinliche Korrekturen offeriert wie milde Gaben, dabei geht es nur um die Kaschierung des eigenen Gesichtsverlustes.

Da ist man sich auch für den peinlichsten Vorschlag nicht zu schade: Eine Ministerdelegation soll sich nun selbst in Bosnien sachkundig machen. Worüber? Nun, über das, was man vor drei Monaten – ohne Sachkunde also – beschlossen hat. Als Minister darf man das: erst handeln, dann denken. Vera Gaserow

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