: Metabild und Engagement
■ Fünfundfünfzig Jahre bedeutsamer Bilder: „du“-Fotos im Museum für Kunst & Gewerbe
“Du bist nicht allein, du hast Verantwortung und Aufgaben jenseits deiner persönlichen Neigungen und Abneigungen... Drum schreiben wir das ,du' aufs Titelblatt unserer Arbeit“, schreibt 1941 der Chefredakteur Arnold Kübler ins Vorwort der ersten Nummer der Schweizer Kulturzeitschrift. Die Schweiz ist damals eine friedliche Insel inmitten des Weltkriegselends, an den Grenzen wird die Landesflagge groß aufs Pflaster gemalt, um jede Verwechslung im Bomberblick auszuschließen und Leid und Zerstörung werden nur durch Bildreportagen ins Land geholt.
Bis heute räumt du der engagierten Fotografie einen wichtigen Platz ein. So ist in 55 Jahren eine bedeutende Sammlung zusammengekommen, aus der die Ausstellung „Der geduldige Planet“ im Museum für Kunst und Gewerbe mit 255 Fotos zusammengestellt wurde. Die Ausstellung ist in 24 Themenbereiche gegliedert, die nichts mehr mit den jeweiligen Heftthemen oder Einzelbeiträgen zu tun haben. Der Baumwollpflücker und das Filmsternchen hängen über Zeiten und Räume nebeneinander, den möglichen Text dazu kann der Besucher sich selber machen.
Zum Metabild Lateinamerikas zwischen Luxus und Gewalt werden zwei andere, nebeneinander gehängte Bilder: ein 1934 in Tehuantepec ermordeter Arbeiter, dokumentiert von Manuel Alvarez Bravo, und Evita Peron, 1950 in Buenos Aires schön von Gisèle Freund abgelichtet.
Ungewohnt ist das humane Pathos, unter dem die Fotografen, unter ihnen Brassai, Henri Cartier-Bresson, René Burri, Dorothea Lange, Herbert List und August Sander versammelt sind. „Die Schönheit kann heute, und besonders heute, keiner Partei dienen, sie ist, über kurz oder lang, nur dem Schmerz verpflichtet oder der Freiheit des Menschen“, so zitiert die Ausstellung zu den Bildern aus dem zweiten Weltkrieg Albert Camus aus seiner Nobelpreisrede 1957. Doch auch Jahrzehnte später gibt es wieder Kriegsbilder zu sehen, diesmal aus Bosnien.
Alle Bilder suchen nach dem Wesen des Menschen, nach der Botschaft hinter dem Augenblick. Welche Zukunft haben die Kinder, die 1961 in Tokio die Vitrine mit den Samuraischwertern bewundern und die, die 1992 in Burma im Straßenbau arbeiten? Ist Che Guevara mit Zigarre und Hand vor den Augen oder einem verträumten Picasso das Visionäre anzusehen? Erfaßt die Kamera den schöpferischen Augenblick, wenn sie Jackson Pollock beim Dripping und Lucio Fontana beim Leinwandschlitzen festhält? Oder findet sich das „du“ in der Religion, gleich ob in Trance in Libyen, bei der Woodoo-Zeremonie in Jamaika oder dem Alpgebet im Wallis?
“Sich selbst im Anderen verstehen: der Andere, das sind wir selbst“, das ist die Empfehlung der Ausstellungsmacher für den Umgang mit den Bildern und mit so gewonnener Intensität fällt erst spät auf, daß bis heute all diese Weltblicke Schwarz-Weiß- Fotos sind.
Hajo Schiff
Museum für Kunst und Gewerbe, bis 23. Juni
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