■ Normalzeit: Quandts Restaurant
Die erste Verwandlung einer Kirche in ein Kulturzentrum sah ich in dem Hippiefilm „Alice's Restaurant“. Schon damals fanden viele diese Umnutzung ins Multifunktionale von unten vorbildlich. 20 Jahre später ist auch die Kreuzberger Heilig-Kreuz-Kirche am Blücherplatz diesen Weg gegangen: Mit 12 Millionen Mark und 185 ABM-Kräften wurde ein gläserner Fahrstuhlturm eingebaut, mit dem man in die neuen Räume über der Halle gelangt, die nicht genutzten Seitenschiffe und das Emporengeschoß wurden durch Stahl-Holz-Konstruktionen erschlossen, in der Kirchenhalle eine Küche und ein Café eingerichtet.
Es finden jetzt täglich Veranstaltungen, Konzerte und Diskussionen dort statt. Federführend beim Umbau war der bei „Asyl in der Kirche“ aktive Pastor Quandt. Bereits kurz nach Einweihung des Gemeindehauses 1966 war ein „Miniclub“ für deutsche und türkische Kinder entstanden. Seit 1973 werden „Deutsch-Türkische Gemeindefeste“ gefeiert, es gibt inzwischen auch zwei türkische Mitarbeiter. Nach dem Tod Kemal Altuns wurden das erste Mal von Abschiebung bedrohte Flüchtlinge aufgenommen und eine Beratungsstelle eingerichtet, aus der der Verein „Asyl in der Kirche“ entstand. 100 Jahre nach der Einweihung der Heilig-Kreuz-Kirche, die im übrigen bis 1950 stets ein Hotspot der Erzreaktion war, „hat sich die Gemeinde zu einem Zentrum der Ausländerarbeit entwickelt“, so eine Chronik 1988. Seit der Besetzung der Kirche 1974 durch – damals noch nicht isolierte – RAF-Sympathisanten „wurde die Gemeinde immer wieder mit politischen Ereignissen konfrontiert“. Und so ist es vielleicht kein Zufall, daß die Heilig-Kreuz-Kirche bei der Modernisierung und Reattraktivierung der Berliner Großkirchen eine „Pilot“-Funktion hatte. Die zweite Umwandlung steht kurz vor der Fertigstellung: Es ist die ebenfalls über 100 Jahre alte Emmaus-Kirche am Lausitzer Platz.
Geschäftsführende Pastorin ist hier Ulla Franken. In der Emmaus-Kirche wurde nur das Turmgebäude umgebaut: In mehreren Ebenen gibt es jetzt Funktionsräume, die über Treppe und Fahrstuhl zu erreichen sind, unten befinden sich eine Küche und ein Café, im Keller Spielräume. Die erst in den fünfziger Jahren gebaute und sehr menschlich dimensionierte Kirchenhalle aus Beton und Holz, die mit dem Turm durch eine nunmehr integrierte „Pergola“ verbunden ist, wurde so belassen. Auch die Emmaus-Gemeinde versuchte sich Anfang der siebziger Jahre mit einem Jugendclub im Gemeindehaus zu attraktivieren, hier „scheiterte“ man aber – wohl infolge des „gewandelten Lebensgefühls durch die 68iger-Bewegung“, wie die Chronistin Carmen Schäfer meint. Genauso wurden die deutsch-türkischen Begegnungen wieder eingestellt. Geblieben ist die „Arbeit an Obdachlosen“. Eine dritte „Fusion“ – der Thomas-Kirche am Mariannenplatz mit dem Künstlerhaus Bethanien – scheiterte an der Finanznot des Kultursenats. Dabei hätte sie vielleicht noch mehr als die anderen beiden das eingeleitet, was die Obdachlosenzeitung motz in ihrer Aprilausgabe (9/69) – „Trennung von Armut und Kirche?“ – fordert, um dem nur architektonisch parierten „Gemeindesterben“ entgegenzuwirken: 1. nichtgetaufte Mitglieder zuzulassen, 2. auch nichtchristliche Mitarbeiter einzustellen, 3. die Kirche zu entklerikalisieren, 4. die Überkirche EKU abzuschaffen, 5. sich an das Bekenntnis „Ich glaube an Gott, den Ohnmächtigen“ heranzuwagen. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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