Kulturvoll, bis die Pfeife raucht

Auf der Lichtenberger Erotikmesse in der ehemaligen Stasizentrale fliegen bunte Plüschspermien als Stimulatoren durch die Gegend. Fragile Sexsehnsüchte, nette Models und raffinierte Tantrakissen gibt es auch. Verkleide dich als Senf!  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Wenn sich sexuelle Dinge in der Öffentlichkeit präsentieren, sind die Reaktionen vorhersehbar: Geht es um Teeniesex (wie bei „Kids“), Frauenpornoläden oder Prostituierte, gibt man sich interessiert bis lobend, geht es um Sexwaren so ganz im allgemeinen, schimpft man über böse Vermarktungen oder mokiert sich über das Ungeschick der ausgestellten Dinge und Menschen. Nichts hat dem aufgeklärten Souverän seiner Lüste fremd zu sein – alles andere wäre ja peinlich –, und Sex soll eine runde Ware sein; sauber und mit Prädikat wertvoll wie die Sexszene aus „Wenn die Gondeln Trauer tragen“.

Natürlich will die „Eurotica – Messe und Festival der Erotik“, die bis Sonntag lustigerweise in der ehemaligen Stasizentrale in der Normannenstraße zu sehen ist, auch kulturvoll und nicht schmuddelig sein. „Denn das Publikum will ja eine Vielfalt sehen“, weiß der modisch kahle 33jährige Christoph Meisenbacher, der zwischen allerlei bunten Geschlechtsbildern im dritten Stock des Lichtenberger Kongreßzentrums herumsteht. Der „Kunstagent“ („diesen Namen gaben mir die Künstler“) ist stolz darauf, den „Erotic-Art- Pool“ organisiert zu haben. Das ist ein 400 Quadratmeter großer „Erlebnisraum in Sachen erotischer Kunst“, an dem sich sechs Galerien aus Wien, München, Berlin und Köln beteiligt haben. „Man kann mit den Augen letztendlich in der Erotik baden. Deshalb auch: Erotik-Art-Pool“, erklärt der pfeifchenrauchende Kunstvermittler. Er weiß, daß Erotik „nicht immer nur mit dem Objekt zu tun hat – der aufblasbaren Puppe, dem Dildo oder gerippten Kondomen. Erotik geht ja in den phantastischen Raum hinein, in dem reduzierte erotische Darstellungen als Stimulator fungieren können.“

Besonders reduziert geben sich die Gemälde und Objekte zwar nicht, doch das ist ja auch nicht Sinn der Sache. Und die ausgestellten Mösen (unter anderem eine zwei Meter hohe Plüsch-Vagina) und Schwänze, wie man so unschön im Deutschen sagt, erinnern einen an Sachen, die man ansonsten häufig vergißt: daß alle Menschen nicht nur seriös und sterblich sind, sondern eben auch ihre fragilen Sexsehnsüchte mit sich herumtragen.

Das ist schön, und außerdem laufen schon am Vormittag so viele lächelnde Gesichter durch die Gegend wie sonst eher selten bei Presseterminen. Die sympathisch halbprofessionellen Models lächeln, weil sie ein bißchen Lampenfieber haben; die netten Journalisten lächeln über das Lächeln der Models, und die arroganten grinsen, weil sie das alles nicht so erotisch finden und zeigen wollen, daß sie über derlei Dingen stehen. Die kleine, energische Pornoproduzentin Evelin Fastenrodt lacht, weil ihr Standnachbar mit untauglichen Mitteln seinen Stand aufbaut: „Wenn das hält, heiß ich Egon!“ und Henryk M. Broder vom Spiegel, der das auch alles nett findet, erinnert sich schmunzelnd an die „Pussy des Monats“ aus den St. Pauli-Nachrichten. Drei schöne Frauen wippen synchron als hübsches Bananenballett beim Stand von Gala Breton und ziehen sich nicht aus und lächeln statt dessen sehr reizend.

Auf der großen Bühne, ein Stockwerk höher, gibt es – meist zu Sextechno – ständig diverse Eroticperformances, die irgendwie bezaubern, grad weil sie so sympathisch unprofessionell wirken: Ein kahlgeschorener junger Mann kraucht als Sklave über die Bühne und läßt sich von seiner asiatischen Herrin mit Wachs beträufeln und ein bißchen hauen („tut gar nicht weh“), eine junge Frau macht im Gymnastikanzug aerobische Fickbewegungen; zwei „Bauarbeiterinnen“ in Seventies-Hot-pants strippen lustig synchron und werfen Zollstöcke und schwarze BHs durch die Gegend. Die fröhlichen Tanzdarbietungen finden in den Gängen mit dem Charme eines Autohauses ihre Fortsetzung. Die schwarzlockige Liza Messika, eine junge Schauspielerin aus Israel, die letztes Jahr auch im Tacheles zu sehen war, tanzt mit dem auffallend schönen, schmalen Kiki Emanuel aus Ghana resp. Kreuzberg die Geschichte von Salomé und Johannes dem Täufer. Beide beeindrucken nicht nur tänzerisch, sondern vor allem durch besonders freundliche Gesichter. Sie bewegen sich ganz unentgeltlich. Deshalb sagt die Malerin Petra Vieweg, die die Performance organisiert hat: „Danke Liza, danke Kiki!“

Friedlich treffen auf der „Eurotica“ die unterschiedlichsten Welten aufeinander: Neben einem eher SM-orientierten französischen Pornostand, bei dem eine runde Blondine nackt im Käfig rumsitzt, gibt es ganz unpornographische „Muskel– und Nervenstimulatoren für die Behandlung von Alltagsverspannungen“; der Kreuzberger Tantrist Andro vom „Antinous“, der hin und wieder im „Offenen Kanal“ zu sehen ist, hat seinen Stand in der Nähe eines Wasserbettenherstellers, „Schneller Wohnen“ ist auch dabei.

Spermien aus buntem Plüsch hängen irgendwo von der Decke, und „es gibt Frauen, die was ganz Sanftes wollen“, sagt die blonde Evelin Fastenrodt, die in der Nähe von Diepholz ihre Pornofilme vertreibt. Die heißen zum Beispiel: „Abspritzen, bis die Pfeife raucht“ oder „Mundvotzen – Sperma ohne Ende“. Seit 15 Jahren produziert die gelernte Visagistin „sechzig bis achtzig Filme im Jahr. Man kann einen Film an einem Tag drehen, aber das ist dann Massenware. Wir brauchen so zwei Tage. An einer Inzestserie haben wir auch mal acht Monate gedreht. Inzest ist ja was ganz Aktuelles. Das läuft absolut gut. Ist alles natürlich im gesetzlichen Rahmen, meist also Stiefvater mit Stieftochter.“

Über viele ihrer Konkurrenten verliert Frau Fastenrodt durchaus böse Worte: Es gebe zuwenig Profis im Geschäft. Viele würden „einen regelrechten Betrug am Endverbraucher“ betreiben. Selbst namhafte Firmen verzichteten zuweilen aufs echte Sperma. „Die nehmen dann, glaube ich, geschlagenes Eiweiß. Aber da sollten Sie mal Dolly Buster fragen oder Hélène Duval. Bei unseren Filmen kann ich aber tausendprozentig garantieren, daß nichts getürkt ist. Der Endverbraucher dankt es einem dann auch. Die Leute sollen nicht meinen, die Endverbraucher seien dumm. Ganz im Gegenteil – die werden nur für dumm verkauft.“ Frau Fastenrodt findet das Pornodrehen sehr lustig: „Wir haben also Szenen im Archiv liegen, also da lacht man Tränen. Da wollen wir irgendwann mal ,Porno, Pärchen, Pannen‘ draus machen.“

Seltsam ist das Erotikuniversum, doch auch die Alltagswelt gibt sich gern lustig obszön. Neulich lobte zum Beispiel eine junge Buchhändlerin kichernd ihren humorvollen Vater. Auf die Frage, als was sie sich auf einem Kostümfest verkleiden solle, habe er ihr geantwortet: „Geh doch als Senf – da können dann alle ihr Würstchen reinstecken.“

Eurotica – Messe und Festival der Erotik. Noch bis Sonntag, Lichtenberger Congress-Center, Normannenstraße 22. Eintritt: 35/28 DM