Ohne D-Mark menschliche Talente fördern

■ Der Geld-Anarchist Silvio Gesell wird über Tauschringe wieder salonfähig. Geldfreie Tauschzonen als Bestandteil eines ökologisch-ökonomischen Umbaus

Neukölln ist verelendet. 15 Jahre, nachdem der Regierungsumzug die Metropole hatte boomen lassen sollen, ist der Südbezirk zu einem Ghetto herabgesunken. Über die Hälfte der Leute sind ohne Jobs. Das wirtschaftliche und soziale Leben liegt darnieder. Inmitten des Armenbezirkes finden sich zwar noch zwei High- Tech-Kieze, die – von von Polizei bewacht – für den fernen Weltmarkt produzieren. Ihr horrendes Einkommen geben die Beschäftigten, Hochqualifizierte im Szene- Outfit, in Konsumtempeln der Friedrichstraße aus. In Neukölln selbst gibt es wg. Geldmangels keine Läden mehr. Auch in Wedding und Kreuzberg ist die Weltmark an den Rand gedrängt. Hier aber regt sich noch wirtschaftliche Tätigkeit: Tauschgeschäfte. Weddinger und Kreuzberger hatten sich in den Neunzigern des letzten Jahrhunderts ausgeklinkt aus einem Warenkreislauf, der allein auf dem Zahlungsmittel DM fußte. Was anfangs nur bespöttelt wurde, trägt nun bescheidene Früchte. Die Menschen tauschen untereinander: Gebrauchte Güter gehen hin und her, kleine Maschinen, häufig Arbeitsleistung, menschliche Talente. Auch Vereine, Betriebe, Gruppen und sogar ein paar Bezirksämter machen mit in dem Tauschring. Sie haben mitgeholfen, eine lokale Ökonomie zu etablieren, die nichts mit dem Glanz der „Galéries“ gemein hat. Aber Wedding und Kreuzberg leben! Die Menschen haben miteinander zu tun. Sie praktizieren, wie der Soziologe Claus Offe das Szenario beschreiben würde, eine nichtmonetäre Kooperation: Sie haben „die Fähigkeit, sich auch anders als über Geld auszutauschen, sich Hilfe zu schenken in der Erwartung, daß man es irgendwann zurückerhalten wird“.

Tauschringe als geldferne Wirtschaftskreisläufe kommen aus vielen Quellen: Sie starten als Selbsthilfegruppen wie die amerikanischen „Ein-Gut-Ökonomien“. Die „Babysitting Cooperatives“ tauschen nur die Zeit des Aufpassens auf die Kleinkinder. Die andere Quelle hat nichts am Hut mit kleinteiliger Nachbarschaftshilfe. Der große gesellschaftliche Reformentwurf soll es sein bei Silvio Gesell und seinen anarchistischen Adepten. Gesell hatte in den dreißiger Jahren dem Zins alles kapitalistische Übel angelastet. Er belohne die Kapitalbesitzer und diejenigen, die ihr Geld dem Wirtschaftskreislauf entziehen. Furore machte vor zwei Jahren ein Gesell- Stück am Prenzlauer Berg: Künstler brachten den Knochen in Umlauf. Das Zahlungsmittel, von allerlei Läden um den Kollwitzplatz als solches anerkannt, verlor an Wert – wenn es der Besitzer nicht in Umlauf hielt.

Auch der Knochen-Gag ließ die Gegnerschaft zwischen monetären Reformern und Revoluzzern wieder aufflammen. Ein Streit, der sich munter fortsetzt. Karl Birkhölzer von der Forschungsgruppe Lokale Ökonomie der TU mußte sich jüngst von dem Edel-Marxisten der Freien Universität, Elmar Altvater, vorhalten lassen, der Weltmarkt lasse sich schwerlich durch lokale Ökonomien zähmen. Auch der kleine, überschaubare DM-freie Wirtschaftszusammenhang könne nicht autark existieren. Irgendwo breche die harte Deutschmark immer herein.

Dabei ist Karl Birkhölzer gar kein Tausch-Purist. Der TU-Forscher setzt auf einen gemeinnützigen dritten Wirtschaftssektor, in dem Tauschringe nur ein Bestandteil sind. Daneben brauche es Scharniere zum DM-starken privaten Sektor und dem öffentlichen Sektor, der abgehängte Armutsregionen stütze. Die Verbindung sollen soziale Betriebe herstellen. Das sind Wirtschaftssubjekte, denen Effizienz und Profit nicht das Maß aller Dinge sind, die aber Geldgeschäfte abwickeln.

In der gemeinsamen Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ (Misereor und BUND) gehören die geldfreien Tauschzonen gebrauchter Waren zum festen Bestand des ökonomisch-ökologischen Teils. Seitdem interessieren sich Ökos und Kirchenleute für Tauschringe. „Es ist ein Ansatz, lokales Wirtschaften wieder in Gang zu bringen“, sagt Martina Schäfer vom BUND, „und eine Form kooperativen Wirtschaftens.“ Damit ist man dem verhaßten Weltmarkt wieder näher: co-opetiton heißt dort eines der Stichworte, ein Mix aus cooperation und competition (Wettbewerb). Christian Füller

Am 30./31.5.96: Workshop über Tauschnetze für Vereine, Betriebe, Gruppen. Tel.: 691 30 72, 612 45 59