"Ans Radio reicht TV nie"

■ Die Fußballreportage im Radio lebt. Aber nur, wenn Günther Koch am Mikrofon sitzt. Keiner weiß, wie der Mann aussieht. Aber seine Stimme gehört zum Inventar des Spiels. Koch ist immer selbst am Ball. Will sein Be

Linke Fußballphilosophen haben ihm schon immer gerne Kränze geflochten. Spätestens seit seiner Live-Radioreportage von der premiere-verschlüsselten Begegnung zwischen dem FC Barcelona und Bayern München unlängst ist Günther Koch in aller Ohren. Koch (54), SPD-Mitglied, lebt in Nürnberg, ist Realschullehrer für Deutsch und Englisch mit halbem Lehrauftrag. Noch hofft er vage, daß ihn der Bayerische Rundfunk, für den er frei arbeitet, mit zur Fußball-EM nach England nehmen wird. Fürs Radioteam. „Im Fernsehen“, sagt er, „brauch' ich ja nicht zu sagen, daß ein Tor fällt.“

taz: Nach dem Spiel Barcelona gegen Bayer, das Sie zusammen mit Edgar Endres für den BR kommentiert haben, brachte das „Aktuelle Sport-Studio“ unter dem Motto „Die Wiedergeburt des Hörfunks“ einen Ausschnitt aus Ihrer Reportage. Was halten Sie von dieser Wiedergeburt?

Günther Koch: Ich sehe das nicht so sehr als Wiedergeburt. Wir übertragen im Hörfunk, wenn Champions-League- und UEFA- Cup-Spiele des FC Bayern anstehen, eigentlich schon seit zwei Jahren. Diese „Wiedergeburt“ ist vielleicht nicht sonderlich bekannt gewesen und wurde wohl erst durch diesen, ja, premiere-Schlüssel und -Kniff wahrgenommen. So gesehen war das vielleicht eine jetzt etwas stärker veröffentlichte Wiedergeburt.

Die Rennaissance bezieht sich auch auf Ihre Person. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, die Reportage an so prominenter Stelle zu würdigen, wenn sie nicht von Koch gewesen wäre.

Ich bin ja dafür bekannt, daß ich nicht gerade von übertriebener Bescheidenheit geplagt bin. Aber in diesem Fall muß ich sagen: Es war das Ereignis des Fußballspiels, mit dem ich lebe und mit dem ich auflebe. Ich müßte wirklich ein schlechter Reporter sein, wenn ich daraus nicht was machen würde.

Weil der Fußballreporter im Radio sein ureigenes Betätigungsfeld hat?

Ja, nur da. Und das Faszinierende am Radio ist, daß ich in der unmittelbaren Situation des Spiels als Reporter am Ball bin, dann will ich mein Bestes geben und fühle auch mit, was in den Spielern vorgeht, weil ich das ja alles in ähnlicher Situation auch schon erlebt hab', zwar nicht gegen Barcelona, sondern, ist ja wurscht, in der A-Klasse. Aber ich kenn' das, und auch an meiner Stimme soll der Hörer merken, in welcher Verfassung ich bin und was das für ein Spiel ist.

Zum größten Erlebnis wird die Übertragung, wenn ich einen Spielzug komplett schildere und der Schütze endlich den Ball ins Tor schießt – und dann das Geräusch, die Kulisse, stehenlassen und sagen kann: Jetzt schießt er, Achtung! –, das ist das Größte. Das kann mir kein anderes Medium geben. Im Fernsehen brauch' ich ja nicht zu sagen, daß ein Tor fällt, höchstens: Na, und jetzt...?!

Ans Radio reicht Fernsehen nie und nimmer heran. Ich unterhalte mich mit dem Ball, ich bin am Ball, es gibt keine größere Herausforderung. Nach einer Bundesligareportage fühle ich mich mindestens so erschöpft wie jeder Spieler.

Die Radioreportage, eines der letzten wirklichen Erlebnisse der Erlebnisgesellschaft?

Ja. Aus meiner Sicht: Ganz klar ja. Noch dazu, weil ich Schneidekommando hab'. Ich muß Punkt '53 anfangen, ich muß sagen: Noch dreißig Sekunden ab jetzt, dann muß ich da runterschauen, ob der die Hose verliert, einen Elfmeter macht, 'nen Gegner anspuckt oder ob er ausgewechselt wird. Hallo, Funkhaus, noch fünfzehn Sekunden, hab' keine Zeit, mir was aufzuschreiben, weiß jetzt noch nicht, was ich sagen will, krieg' jetzt noch das Kommando: Paß fei auf, nach zwei Minuten machst du eine Zäsur von zwei Sekunden, da wird Radio Bremen eher aussteigen. Sag' ich: Noch fünf Sekunden, hab' fünf oder acht Informationen, sechs oder sieben Gedanken im Kopf, noch zwei Sekunden – und dann laß ich's einfach laufen. Dann geh' ich drauf. Und dann ist alles volles Risiko. Dann ist es so, als ob ich ein Dribbling ansetze und mich festfahre und dann noch mal anfangen muß, das ist eben das Erlebnis. Und dann muß ich wieder auf die Uhr schauen, ob ich noch zehn Sekunden habe oder nicht, ob schon der nächste kommt, muß dann zurückgeben, und dann geh' ich wieder rein, und das fünfundzwanzig- oder vierundzwanzigmal, und dann kommt die Konferenzreportage. Also, es ist Wahnsinn.

Im Gegensatz zu den leidenschaftslosen Eckenzählern wirft man Ihnen Parteilichkeit vor, speziell wenn der 1. FC Nürnberg spielt. Braucht eine gute Reportage Parteilichkeit?

Ja, die Parteilichkeit! Am meisten haben mich in meinen Anfangsjahre Briefe aus dem Westen bestärkt und gefreut, in denen mir bestätigt wurde, daß der Mann bei aller Liebe zum 1. FC Nürnberg immer objektiv gewesen ist, daß er praktisch, wenn der Gegner besser war, das auch laut und deutlich gesagt hat. Man darf meine Parteilichkeit durchhören, man darf hören, daß ich traurig bin, wenn der Club verliert. Aber ich bin gerecht und da vielleicht dem Club gegenüber sogar noch kritischer, gerade weil ich ihn sozusagen liebe – und das hört man dann und wann auch. Als der Club mal 4:0 gegen Bayern gewann, hab' ich mich schon sehr aufgeführt, geb' ich ja zu – aber weil der Club so gut war. Bin da runtergestiegen und hab' am liebsten jeden Spieler noch aus dem Spiel heraus interviewt, hab' die Bayern-Bank interviewt, und die waren ja auch toll und haben Interviews gegeben. Aber da wurde dann vom Moderator im Münchner Funkhaus gesagt: „Na ja, man gönnt sich ja sonst nichts in Franken.“

Grundsätzlich: Es sieht übel aus in Sachen Fußballreportage?

Nee. Nein, nein. Die Rundfunkreportage, das ist jedenfalls meine Hoffnung, wird nie sterben, denn sie ist das Höchste. Das einzige, wo wir wirklich noch die frühere Live- Reportage haben, ist die Radio- Sportreportage. Und blöderweise machen jetzt die öffentlich-rechtlichen Funkhäuser diesen unverzeihlichen Fehler, daß sie sich an der Mehrheit, die ja dumm ist, orientieren und am Quotenzwang der Privaten und möglicherweise die Live-Reportagen für Musiksendungen opfern. Das ist ja auch beim Bayerischen Rundfunk die Politik. So daß nicht mehr live abgerufen werden kann, wenn irgendwo grad ein Strafstoß gepfiffen wurde. Da wird die Musik zu Ende gespielt, und es gibt eine Nachbetrachtung. Und dann kann ich aufhören. Also, das werde ich dann nicht machen. Das kann ein anderer, das kann jeder, das kann auch der Computer. Dann ist Ende. Ich bin kein Nachkäuer oder kein Wiederkäuer oder kein Berichterstatter.

Die Öffentlich-Rechtlichen werden im Juni die EM übertragen, die üblichen Reporter wird man vorgesetzt bekommen, der Faßbender wird auch kommen. Was ist mit dem England-Kenner Koch?

Vielleicht bin ich der Reporter, der das Spiel dann in englisch überträgt. Nachdem es das aber nicht gibt, werde ich nicht zu hören sein.

Ihr Kollege Hansch sagt, „die Tragödie der deutschen Fußballberichterstattung“ sei, daß Koch noch von keinem internationalen Großereignis berichtet hat.

Ich hatte zu Zeiten, als ich noch schlechter war, zwei A- und zwei Amateur-Länderspiele und hab' mir eigentlich gedacht, es kämen weitere nach. Und mit einem Schlag war's aus.

Wieso?

Das hat mir bis heute keiner gesagt. Ich finde mich sportlich damit ab und mache meine Reportagen in der Bundesliga und im Europacup, so gut ich kann, bedauere natürlich, daß ich jedes Jahr oder alle zwei Jahre vergeblich hoffe, nominiert zu werden. Aber ich habe da keinen Einfluß drauf.

Das Gespräch führten

Gerhard Fischer und Jürgen Roth