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Alle wollen Frieden, aber jeder anders

Zum ersten Mal seit 1981 wählt Uganda seinen Präsidenten. Nicht überall ist Amtsinhaber Museveni beliebt  ■ Von Bettina Gaus

Um Tagespolitik dreht sich das Tischgespräch bei der Abendeinladung eines Unternehmers in Kampala: Die wirtschaftliche Lage Ugandas, der Bandenkrieg im Norden und natürlich die kommende Präsidentschaftswahl werden erörtert – lautstark, freundschaftlich, oft witzig.

Dann kommt die Rede auf die Vergangenheit. Und es wird ganz still. An einer Straßensperre hätten ihn Soldaten aus dem Auto geholt und in einen Lastwagen verfrachtet, erinnert sich ein Bauingenieur. Er habe gerade seine Kinder zur Schule bringen wollen. „Sie haben so geweint.“ Die Soldaten hätten ihn schließlich laufen lassen, aber die Angst sei geblieben. Er habe viel Angst gehabt in den Jahren des Obote-Regimes Anfang der 80er Jahre, als Massaker, Folter und willkürliche Morde an der Tagesordnung waren.

„Ich will das nie wieder erleben“, sagt der Ingenieur. Er wähle am kommenden Donnerstag den amtierenden Präsidenten Yoweri Museveni, weil der für sichere Verhältnisse sorge. „Wir kaufen jetzt Zeit. Noch einmal fünf Jahre, dann ist die junge Generation, die vom Krieg geprägt wurde, reif genug, den Frieden zu bewahren.“

Der Präsident: „Wir haben die Mörder verjagt.“

Die Zeit der Bürgerkriege und wechselnder Terrorregime in Uganda liegt zehn Jahre zurück. Aber die Wunden sind noch nicht vernarbt. Am 9. Mai soll die Bevölkerung des Landes zum ersten Mal seit Musevenis Machtergreifung 1986 ihren Präsidenten wählen – und im Wahlkampf geht es vor allem um Vergangenheit.

Uganda erlebt unter Museveni die stabilste Zeit seit seiner Unabhängigkeit. „Wir haben die Mörder aus der Regierung gejagt, aber wir haben auch erfolgreich den Weg der Versöhnung beschritten“, ruft Präsident Museveni bei einer Kundgebung im nordwestugandischen Arua seinen Zuhörern zu.

Aber die zeigen sich wenig beeindruckt. Viele verlassen die Kundgebung vor ihrem Ende, weil die Nacht hereinbricht und es dann in den eigenen vier Wänden sicherer ist. In Ugandas nördlichen Provinzen operieren Rebellengruppen, die in den letzten Monaten ihre Aktivitäten verstärkt haben. Nationale Versöhnung läßt sich in Arua schwer feiern. Die große Wiese am Stadtrand, auf der das Rednerpodium Musevenis aufgebaut ist, ist halb leer. Teilnehmer der Kundgebung werden auf Waffen untersucht. An strategisch günstigen Punkten sind Scharfschützen postiert.

Die Region, Heimat des früheren Diktators Idi Amin, gilt als Hochburg von Musevenis Hauptrivalen Paul Ssemogerere. Der ist politisches Urgestein: Seit drei Jahrzehnten aktiv, war er Minister unter verschiedenen Präsidenten, zuletzt unter Museveni. Jetzt ist der Politiker der früheren DP (Demokratische Partei) ein erstaunliches Bündnis eingegangen: mit den Anhängern des 1985 gestürzten Diktators Milton Obote, der heute in Sambia in Exil lebt.

Offiziell sind Parteien in Uganda nicht zugelassen. Beim Rennen um die Präsidentschaft dürfen nur Individuen antreten. Aber die alten Seilschaften von DP und der Obote-Partei UPC werben gemeinsam für Ssemogerere. Sie führen den Wahlkampf auch als Kampf für die Einführung des Mehrparteiensystems.

„Das Bündnis der DP mit dem UPC ist ein klarer Beweis dafür, daß die Leute aus der Geschichte nichts lernen“, meint Betty Bigombe, Musevenis Staatsministerin für die nördlichen Provinzen. „Ssemogereres eigene Parteifreunde im Parlament sind umgebracht worden. Er hat keinen Finger gerührt. Erstaunlich, daß er jetzt ein Bündnis mit den Mördern seiner Freunde eingeht.“

Anhänger Ssemogereres sehen darin kein Problem. Das sei doch „eine sehr gute Geste der nationalen Versöhnung“, erklärt der Rechnungsprüfer John Ssansa in dem kleinen Ort Kyotera südlich von Kampala. Hier ist die Stimmung gut – trotz strömenden Regens und mehrstündiger Verspätung Ssemogereres, der zu einer Kundgebung erwartet wird. Hier gilt ein Sieg des Oppositionskandidaten als sicher. Über Kilometer hinweg säumen abgeschlagene Bananenstauden die Straße, eigens zur Begrüßung gefällt.

Tausende harren geduldig aus, bis endlich der Fahrzeugkonvoi heranbraust. Zu sagen hat Ssemogerere dann nicht viel. Anders als Museveni beschränkt sich sein Herausforderer weitgehend darauf, die Menge zum Skandieren von Slogans zu animieren: „Bye- bye Museveni – Welcome Ssemogerere.“

Die Zuversicht der Zuhörer scheint unerschütterlich. Einige kündigen im Gespräch an, sich mit einer Niederlage Ssemogereres nicht abfinden zu wollen: „Dann gehen die Leute in den Busch“, meint ein junger Mann. Ein anderer: „Wir sind bereit zu sterben.“

Wofür? Bitterkeit und Enttäuschung über die bestehenden Verhältnisse kommen den Anhängern des Oppositionskandidaten schnell über die Lippen. „Mein achtjähriger Sohn kann nicht in die Schule gehen, weil ich die Gebühren nicht bezahlen kann“, berichtet der Kleinbauer Robert Sseruwugge. „Und die Regierung sagt, mit dem Land gehe es aufwärts!“

Ein Bauer: „Der Wohlstand wird schlecht verteilt.“

Die Zahlen des Finanzministeriums erzählen eine Erfolgsgeschichte: Das Wachstum lag 1995 bei 7,7 Prozent. Die Inflationsrate, die 1987 250 Prozent betrug, wurde auf sechs Prozent heruntergedrückt. Aber noch profitieren vom Aufschwung nicht alle. „Wir sehen davon in den Dörfern nichts“, meint Rechnungsprüfer John Ssansa. „Das Schulgeld verbraucht das ganze Geld der Familien, und dann reicht es immer noch nicht.“ Mehr als 15.000 Shilling koste die billigste staatliche Grundschule im Monat. „Mein 18jähriger Bruder arbeitet als Tagelöhner in einer Kaffeefabrik, für 700 Shilling am Tag“, ergänzt Sseruwugge. „Der nationale Wohlstand wird nicht gleichmäßig verteilt. Das geht doch alles in den Westen.“ Der „Westen“ ist die Heimatregion Musevenis.

Ausländische Beobachter bescheinigen der Regierung eine einigermaßen gerechte Ausgabenpolitik. Aber das Zugehörigkeitsgefühl zur eigenen religiösen oder ethnischen Gruppe wiegt oft schwerer als inhaltliche Fragen. Wahlprognosen spiegeln das wider: Der Westen gehört Museveni, auch im Osten liegt er vorn, den Norden wird Ssemogerere holen.

Die Zentralregion Buganda, das mächtige Kernland um die Hauptstadt Kampala, „ist geteilt“, glaubt der katholische Priester John Waliggo in Kampala. „Noch hat Museveni die Oberhand, aber hier kann sich noch in den letzten Tagen eine Menge verändern.“ Entsprechend aufgeheizt ist die Stimmung. Anhänger der gegnerischen Lager schlagen sich gegenseitig blutig. Kundgebungen von Ssemogerere wurden gestört, an einigen Orten sogar verhindert. „Wir machen das alles zum ersten Mal. Ist das die Art und Weise, wie es sein sollte? All diese Aufgeregtheiten? Ist es normal für Leute, sich so zu benehmen?“ Die Ratlosigkeit von Stephen Akabwy, Vorsitzender der ugandischen Wahlkommission, wirkt echt.

Im Büro des distinguierten älteren Herrn wirken alle Gerüchte über mögliche Wahlfälschungen, Gewalttaten und Aufruhr wie dumpfes Grollen aus einer fernen Welt. 48 Stunden nach Schließung der Wahllokale sollen die Ergebnisse vorliegen. Er sehe da keine Probleme. Doch, er sei zuversichtlich, daß auch im unruhigen Norden die Wahl ordnungsgemäß vonstatten gehen werde. Ob die Militärs, die mehrheitlich als Anhänger Musevenis gelten, einen Sieg Ssemogereres hinnehmen würden? Akabway antwortet sorgfältig: „Sie haben es gesagt, und ich würde mich gerne auf das verlassen, was sie sagen.“

In Kampala kursieren Flugblätter über angebliche Putschpläne der Armee für den Fall eines Sieges der Opposition. Chefe Ali, Kommandeur der Truppen im Norden Ugandas, weist das entschieden zurück: „Wir kämpfen nicht für Individuen. Wir verteidigen die Verfassung.“ Wenn Ssemogerere gewählt werde, sei er der legitime Präsident. „Vielleicht denken nicht alle im Militär wie ich, aber ich werde jeden bekämpfen, der gegen die Verfassung vorgeht.“

Der Bischof: „Die Leute fühlen sich nicht sicher.“

Derzeit hat Chefe Ali noch andere Sorgen. Rebellen verminen Straßen, überfallen Dörfer und Autokonvois. „Jeden Nachmittag kommen Familien mit ein paar Habseligkeiten von ihren Bauernhöfen in die Stadt, um hier die Nacht zu verbringen“, erzählt Martin Luluga, der katholische Bischof von Gulu. „Sie fühlen sich auf ihren Höfen vor den Rebellen nicht sicher.“

Mehr als 10.000 Flüchtlinge aus den ländlichen Gebieten leben ständig in Gulu. Im kommerziellen Zentrum des Nordens ist vom Aufschwung Ugandas nichts zu spüren. In den Geschäften gibt es nur das Nötigste zu kaufen, viele Läden sind ganz geschlossen. Während in Buganda Wellblechdächer in der Sonne glitzern, sind hier alle Bauernhöfe noch mit Gras gedeckt. Die Ministerin Betty Bigombe kurbelt in ihrem Büro in Gulu ebenso entschlossen wie entnervt an ihrem uralten schwarzen Telefon ohne Wählscheibe: „Das System stammt noch aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg.“

Um Frieden herbeizuführen, planen Älteste der Region jetzt mit Musevenis Billigung ein Treffen mit dem örtlichen Rebellenchef Joseph Kony. „Eine große Zahl dieser Rebellen sind Söhne und Töchter dieser Gegend“, erklärt Bischof Luluga. „In unserer Kultur haben wir Konflikte immer mit Verhandlungen gelöst.“

Auch Ssemogerere hat für den Fall seines Sieges Gespräche mit den Rebellen angekündigt. Die haben im Gegenzug eine Wahlempfehlung für den Oppositionskandidaten ausgesprochen – und, so Chefe Ali, „damit gedroht, den Leuten Lippen und Nasen abzuschneiden, wenn sie nicht für Ssemogerere stimmen“. Von Gesprächen mit Kony hält Ali nichts.

„Diejenigen, die in friedlichen Gegenden Ugandas wohnen, wollen eben wegen dieser Stabilität, daß Museveni bleibt, während die Leute in Kriegszonen für Ssemogerere sind, weil er versprochen hat, alle Gruppen am runden Tisch zusammenzubringen“, sagt der Journalist Roy Idoro in der Stadt Arua. Über den rechten Weg zum Frieden wird in Uganda auch weiter gestritten werden.

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