■ Vor der morgigen Abstimmung über die Fusion Berlin-Brandenburg: Falsche Symbolik, kraftlose Kampagne
: Vereinigt sind nur die Gegner

Die Allee im Sommergrün, mit der vom Berliner Senat auf einem Plakat für die Länderfusion geworben wird, scheint geradewegs in eine glänzende Zukunft zu weisen. Doch das Foto zeigt keine blühende Landschaft in Brandenburg, sondern ist in Frankreich aufgenommen. Diese verunglückte Symbolik kennzeichnet die Fusionskampagne. Da behaupten auf Plakatwänden zwei Babies, gemeinsam sei man stark. Stark genug? „Nicht meckern, wählen!“ herrscht ein Plakat mit dem Bild einer Ziege die WählerInnen an. Die bedanken sich.

Es verwundert kaum, daß trotz – oder wegen – der massiven Werbekampagne in den letzten Wochen die Zustimmung abgenommen hat. 25 Prozent aller Wahlberechtigten müssen in Brandenburg wie in Berlin für die Fusion stimmen. Eine hohe Hürde; wahrscheinlich zu hoch, wenn man den Umfragen glaubt. In Brandenburg sind nur noch knapp 30 Prozent dafür.

Die ungeschickte Werbung spiegelt deshalb nur wider, daß der Fusionskampagne ein gesellschaftlicher Konsens fehlt. Dabei wäre an Argumenten kein Mangel. Wer für ein zusammenwachsendes Europa ist, kann kaum etwas gegen ein gemeinsames Land haben. Aus zwei Ministerialbürokratien kann eine gemacht werden – was jährlich eine Milliarde Mark sparen würde. Die durch die Teilung bedingte Trennung von Zentrum und Hinterland wäre aufgehoben. Schluß wäre mit der Erpressungsstrategie von Unternehmen. Die konnten bislang beide Länder zwecks maximaler Subventionierung gegeneinander ausspielen. Eine gemeinsame Landesplanung könnte die Bedürfnisse des Hinterlandes und der aus den Nähten platzenden Metropole koordinieren. Auch ein jahrelanges Gerangel zweier Landesregierungen, wie zum Beispiel um den Standort des neuen Großflughafens, wären Geschichte.

Doch Argumente zählen kaum. Da ist kein schöner Land in Sicht und auch kein Vertrauen und Mut. Abgestimmt wird morgen vor allem aus dem Bauch. Beim Urnengang geht es nicht um die Zukunftsperspektive, sondern um die Sorgen und Probleme der Gegenwart. Da reicht schon eine nicht ausgebaute Bundesstraße zum Nein. Für manchen Brandenburger und Ostberliner ist der Urnengang wie eine späte Abstimmung über die Vereinigung. „Die anderen Veränderungen kamen über uns, da mußte man irgendwie durch“, sagte Brandenburgs Ministerpräsident Stolpe im taz-Interview, „jetzt aber kann man selbst mitwirken.“ Umgekehrt wird ein Schuh draus. Wieder kommt etwas über sie, empfinden die Brandenburger, diesmal ein Fusionsstaatsvertrag. Ihnen bleibt nur, für die Revolution von oben zu stimmen. Oder eben: sie abzulehnen.

Die Abneigung gegenüber Berlin kommt hinzu. Tief verankert sind die Erfahrungen aus DDR- Zeiten, als die Handwerker nach Berlin abkommandiert wurden und die Provinz verfiel, wo es in der Hauptstadt Kühlschränke gab und in Wittstock nur leere Regale. Manfred Stolpe hat sich zudem selbst ein Bein gestellt. Er habe die Wiederkehr des Brandenburg-Bewußtseins unterschätzt, gestand er der taz. Genau diese Brandenburger Identität als Ersatzselbstbewußtsein für die Menschen eines untergegangenen Landes hatte Stolpe ausgiebig gepflegt.

Die PDS schlägt daraus Funken gegen die Fusion. Ganz egal wie die Abstimmung ausgeht, die Partei gehört zu den Gewinnern. Listig bringt sie vor, nicht gänzlich gegen eine Länderehe zu sein, und plakatiert, man könne „zu einem schlechten Vertrag nicht ja sagen“. Wie ein guter Vertrag aussieht, sagt sie nicht. Warum soll schon wieder Ostdeutschland das Versuchskaninchen spielen, fragt Gregor Gysi und verweist auf Bremen oder das Saarland. Das zieht.

Wer gegen die Fusion ist, entscheidet auf Grundlage des Heute. Das aber hält für viele Menschen Arbeitslosigkeit und Sozialkürzungen bereit. Die Befürworter stehen dem hilflos gegenüber. Wer für die Fusion ist, muß auf ein Übermorgen verweisen und kann ehrlicherweise nur Hoffnungen auf wachsenden Wohlstand und neue Arbeitsplätze formulieren. Garantien dafür gibt es nicht. Die Menschen aber wollen solche Versprechungen hören. Jedes Versprechen aber verstärkt zugleich das Mißtrauen gegenüber der Politik.

Eine Zustimmung zur Fusion setzte Vertrauen in die Politik voraus. Dies aber fehlt. Wer dem öffentlichen Dienst vertraglich zugesichert hat, es werde keine fusionsbedingten Kündigungen geben, dessen Glaubwürdigkeit muß zuschanden werden. Die Berliner und Brandenburger wissen, daß nur über den Abbau des öffentlichen Dienstes Einsparungen möglich sind. Außerdem: Arbeitslose haben beide Länder schon genug.

Die Fusionsgegner beider Länder sehen sich jeweils als Verlierer. Die Brandenburger fürchten, die Metropole Berlin werde das Hinterland finanziell ausbluten. Und die Vertreter der in den langen Jahren der Ummauerung zementierten Netzwerke in Westberlin fürchten die Erosion ihrer Macht. 30 Jahre am Bonner Tropf hängend, gehört dazu auch der überblähte öffentliche Dienst der Stadt. Eine Fusion würde die Erneuerung der alten West-Nomenklatura beschleunigen, deren Denken oft genug noch an der verschwundenen Mauer endet. Sie fürchten, „im roten Meer“ eines SPD-regierten Landes unterzugehen.

So verwundert kaum, daß die Fusionskampagne so kraftlos daherkommt. Mögen Berlins Regierender Bürgermeister Diepgen (CDU) und sein Potsdamer Amtskollege Stolpe auch kämpfen. Ihnen gegenüber stehen die längst fusionierten Gegner; dazu gehören die klammheimlichen Heckenschützen in CDU und SPD. Die Fusionsfeinde schieben sich gegenseitig die Bälle zu. Spricht der Berliner CDU-Fraktionsvorsitzende Landowsky von den „sozialistischen Wärmestuben“, die nach der Fusion in Brandenburg mit „eisernem Besen“ ausgekehrt werden müßten, ist das in Brandenburg beste Munition gegen die Fusion.

Kommt morgen eine Mehrheit zustande, entstünde ein Land mit über sechs Millionen Einwohnern. Ein Votum für die Fusion würde die seit Jahrzehnten festgefahrene Debatte über die Zukunft des Föderalismus nachhaltig anheizen. Schließlich ist die Schieflage bei der Leistungsfähigkeit der Bundesländer längst gravierend. Zehn der sechzehn Bundesländer sind beim Länderfinanzausgleich zum Almosenempfänger geworden. Die Armenhäuser der Nation werden deswegen morgen nach Berlin und Potsdam schauen. Wie es ausschaut, werden sie sich kaum beunruhigen müssen. Gerd Nowakowski