Mit Schikanen und Folter aus China geekelt

■ Der chinesische Dissident Liu Gang ist in die USA geflohen. Auch nach seiner Haftentlassung im vergangenen Jahr hatte ihn die Polizei immer wieder verfolgt

Berlin (taz) – Liu Gang, einer der führenden chinesischen Dissidenten, ist am 1.Mai in die USA geflohen, wo er politisches Asyl erhalten hat. Bereits am 27.April war Liu untergetaucht, um seine Flucht aus China vorzubereiten. Zu Einzelheiten seiner Flucht wollte sich das New Yorker Büro von amnesty international aus Sicherheitsgründen nicht äußern. Auch die US-Botschaft in Peking wollte keine nähere Informationen geben.

Der heute 34jährige Physikstudent Liu Gang war wegen seiner Beteiligung an den Demonstrationen auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989 zu sechs Jahren Haft im Arbeitslager Lingyuan verurteilt worden. Die dort inhaftierten Dissidenten sind deutlich härteren Haftbedingungen unterworfen als „normale“ Gefangene.

Im Juni 1995 wurde Liu aus der Haft entlassen – unter Maßgabe eines „13-Punkte-Programms zur Sicherstellung der Überwachung und Vernehmung“. Liu verstieß prompt gegen die Auflagen. Trotz Verbot gab er Interviews, in denen er die Folterungen im Lingyuan- Gefängnis in der Provinz Liaoning anprangerte. Vor allem zwischen 1991 und 1993 war der Dissident häufig mit elektrischen Schlagstöcken bis zur Bewußtlosigkeit geprügelt worden. Neun Monate lang wurde er gezwungen, von fünf Uhr morgens bis neun Uhr abends nahezu pausenlos auf einem Brett zu sitzen. Bis heute habe er deswegen Schmerzen beim Gehen, sagte der Menschenrechtler.

Da sich Liu Gang nach seiner Freilassung nicht an die polizeilichen Auflagen hielt, wurden er und seine Familie permanent schikaniert und mißhandelt. Rund um die Uhr bewachte die Staatssicherheit das Haus seiner Eltern und verfolgte ihn auf Schritt und Tritt. Während eines Spaziergangs mit Verwandten wurde seine Schwester von Polizisten in Zivil abgefangen: Ihr wurde ein Arm gebrochen, sein Bruder und seine 10jährige Nichte wurden verprügelt.

Am 1.September 1995, zur Zeit der Weltfrauenkonferenz in Peking, ließen die chinesischen Machthaber Liu erneut festnehmen, weil er sich nicht an die polizeilichen Auflagen gehalten hatte. Das Mittlere Volksgericht in Liaoyan verurteilte den Menschenrechtler daraufhin erneut, diesmal zu 15 Tagen Knast. Die Justiz begründete das Urteil mit der Weigerung des ehemaligen politischen Gefangenen, der Polizei regelmäßig „seine Gedanken“ mitzuteilen.

Amnesty international kritisiert weiter, Mißhandlung und Folter von Gefangenen seien in chinesischen Gefängnissen nach wie vor an der Tagesordnung. Die Rechte von Häftlingen hätten sich zwar in den letzten Jahren etwas verbessert, der Schutz der Menschenrechte in den Gefängnissen sei jedoch immer noch „nicht ausreichend gewährleistet“. Mißhandlungen zur Einschüchterung und zur Erzwingung von Geständnissen würden nicht als rechtswidrig erachtet. Tobias von Heymann