Die Niederlage macht Major Mut

Bei den Teilkommunalwahlen in Großbritannien verlieren die konservativen Tories nicht ganz die Hälfte ihrer Sitze in den Kommunalverwaltungen – ein Erfolg, meint der Premier  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Die Talfahrt sei gestoppt, hieß es gestern bei den Tories trotzig. Schließlich hat die Hälfte der konservativen Bezirksverordneten die englischen Teilkommunalwahlen vom Donnerstag überlebt: Von den 1.102 Sitzen, die es zu verteidigen galt, gingen 550 verloren. Die Labour Party gewann 450 Mandate, die Liberalen Demokraten knapp 150. Oder in Prozentzahlen ausgedrückt: Auf Labour entfielen 43 Prozent der Stimmen, auf die Tories nur 27 Prozent – sie erlangten gerade mal ein Prozent mehr als die Liberalen.

Darauf begründet das Kabinett offenbar seinen Optimismus, hatte man doch bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr noch schlechter abgeschnitten. Damals erzielte Majors Partei mit 25 Prozent das bisher schlechteste Ergebnis, der Vorsprung der Labour Party lag bei 22 Prozent.

„Die Ergebnisse waren nicht so gut, wie wir erhofft hatten“, sagte der Tory-Vorsitzende Brian Mawhinney, „aber besser, als viele vorausgesagt haben.“ Und Majors Stellvertreter, Michael Heseltine, prophezeite: „Tatsache ist, daß John Major die nächsten Wahlen gewinnen wird, und ich werde ihm dabei helfen.“

Gewählt wurde diesmal in 150 englischen Wahlkreisen außerhalb Londons. Unter den 99 Stadträten in Manchester ist kein einziger Tory mehr. Sogar der Kandidat der Umweltschutzorganisation „Friends of the Earth“ schnitt besser ab. Newcastle, Oxford und Oldham sind ebenfalls toryfreie Zonen, in Liverpool hat lediglich einer überlebt. Auch der traditionelle Tory-Wahlkreis Chetwell fiel an Labour: Dort liegt der für die Region um Oxford so wichtige Viehmarkt von Banbury, der aufgrund des Rinderwahnsinns vor dem Bankrott steht.

Ein kleiner Lichtblick für die Konservativen ist die Tatsache, daß sie sich in drei der vier Gemeinderäte, in denen sie bisher die Mehrheit hatten, behaupten konnten – darunter auch in Huntingdon, dem Wahlkreis Majors. So wirkte Major gestern fast erleichtert und gab sich für die Parlamentswahlen siegesgewiß. Heseltine wies darauf hin, daß seine Partei 717 Sitze im Jahr 1986 und 872 Sitze fünf Jahre später eingebüßt habe. In beiden Fällen habe man die darauffolgenden Parlamentswahlen gewonnen.

John Redwood, der bis zu seinem Putschversuch gegen Major im vorigen Sommer dem Kabinett angehörte und seitdem Wortführer des rechten Parteiflügels ist, sprach jedoch eine deutliche Warnung aus. Das Resultat zeige, laut Redwood, „die Sorgen und Bedenken der Wähler gegenüber der Regierung und ihrer Politik“. Bis zu den allgemeinen Wahlen müsse Major das in Ordnung bringen. Mit anderen Worten: Sollte Major sich nicht zu einem eindeutig antieuropäischen Kurs durchringen, müßte er auf die Unterstützung der rechten Hinterbänkler verzichten.

Redwoods Wahlkreis Wokingham ging an die Liberalen Demokraten verloren. Deren Vorsitzender Paddy Ashdown war zufrieden. Er sprach von einem „sehr, sehr guten Resultat“ für seine Partei, die nun schon zum sechsten Mal in Folge bei Wahlen zulegen konnte.

Würde man das Ergebnis vom Donnerstag auf Parlamentswahlen Übertragen, dann zöge Labour mit der größten Mehrheit seit 1966 in die Downing Street ein. Entsprechend euphorisch war Labour- Chef Tony Blair. Er freute sich über den „Riesenschritt nach vorn auf der Straße des Sieges“. Der Wahlausgang belege, daß die Regierung nach 17 Jahren abgewirtschaftet habe. „Die Wähler haben von dem schwachen und inkompetenten Kabinett die Nase gestrichen voll“, fügte Blair hinzu. Besonders froh war er über das gute Abschneiden in den bisherigen Tory-Hochburgen. Sein Stellvertreter John Prescott wies darauf hin, daß es noch keiner britischen Regierung gelungen sei, einen solchen Rückstand bei Meinungsumfragen innerhalb eines Jahres wettzumachen.

Die Parlamentswahlen werden jedoch nach anderen Gesetzen ablaufen als die Kommunalwahlen, hofft Michael Heseltine. Major sagte, die Konservativen „werden bis zu den allgemeinen Wahlen um so härter arbeiten, damit die Wähler verstehen, was auf dem Spiel steht“. Nichts anderes als Majors Karriere, so scheint es.

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