■ Soundcheck: Gehört: East 17 und Houria Aichi
Gehört: East 17. Alle waren sie aufgelegt und in Bunt gekommen. Tausende von Abgeordneten des schreiend gefeierten Frohseins wollten erleben, wie Himmel und Leben einander näher rücken, wenn East 17, die andere große Boygroup der frühen Neunziger, ihren „Steam“ in die Sporthalle blasen würden. Als es losging, als alle gleichzeitig voll da und bewußt, das heißt, um ihr Bewußtsein erleichtert mit dem loslegten, was hier nur ganz unterschwenglich „Unterstützung“ genannt werden kann, da war es nicht mehr zu entscheiden: Monomanie des Sozialkitsches oder Lebensrettung? Ein Teil der Lösung oder ein Teil eines Problems, das schon so oft gelöst worden ist? Oder vielleicht doch der andere Teil einer Jugendbewegung, der auf die Entdeckung des Ausgehens und des Maulaufreißens verzichtet, weil man sich früher als alle Altvorderen mit so etwas wie „Rezession“ auseinandersetzt und hier, auf Konzerten wie diesem, noch ein paar letzte Male die Puppen von East 17 für sich tanzen läßt? Bevor es ernst wird. Bevor er im Leben zu Ernst wird: Support your local Teenagers. Kristof Schreuf/Foto: jms
Gehört: Houria Aichi. Zu rapportieren, was der algerische Märchenerzähler Sadek Kebir in der Musikhalle aus 1001 Nacht fabulierte, würde hier zu weit führen. Bewegung kam in den Freitagabend, als die Bauchtänzerin Khedidja sich erfolgreich gegen die hochstaplerische Musik vom Band behauptete, die den tänzerischen Ausdruck gerade durch ihren profanen Charakter zusätzlich auflud.
Die weitere Steigerung vollzog sich dann im Zeichen der Reduktion. Die seit 20 Jahren in Paris lebende Houria Aichi interpretierte, sich selbst federleicht auf einer Handtrommel begleitend, poetische Lieder vom maghrebinischen Alltag, von Krieg, von Liebe und Exil. Ihr kehliger, äußerst konzentrierter und obertonreicher Gesang verwob sich mit dem nachhallenden Trommelrhythmus und den flirrenden Tönen eines zusätzlichen Flötisten zu einer vollendeten, dabei fremdartigen und unsereinen eher meditativ stimmenden Darbietung. Im algerischen Teil des Publikums aber manifestierte sich immer unwiderstehlicher das Bedürfnis nach direktem Respons, mündete in gemeinschaftlichem Tanz und in einer Art nordafrikanischem Jodeln: immer wiederkehrende Freudenschreie, die sich beinahe überschlugen.
Andreas Schäfler/Zeichnung: Martin tom Dieck
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