WRROOMMMM macht die Kettensäge

■ Zweimal „Lederfresse“: Jüngste deutsche Neurosen im Jungen Theater und im Stadttheater (BHV)

„Ich bin Lederfresse, der mit der WRROOMMM-Kettensäge!“ Dieser Schlachtruf eilt seit zwei Jahren über deutsche Bühnen. Jetzt hat er gleichzeitig Bremen und Bremerhaven erreicht: Im Jungen Theater und im Stadttheater BHV waren am Wochenende die Premieren zweier grundverschiedener Inszenierungen des jüngsten deutschen Kettensägenmassakers zu erleben.

Die „Tour de Farce“ des „jungen Wilden“ Autors Helmut Krausser ist vordergründig ein drastisches Spektakel um die einsame Obsession eines arbeitslosen jungen Mannes: Mit Ledermaske, Lederschürze, Schweineblut und Kettensäge versucht er, seine brachliegende dichterische Phantasie zu beflügeln. Gerade hantiert er mit der fabrikneuen Säge, da überrascht ihn seine Freundin. Beide geraten angesichts der makabren Masken in einen Kampf mit Worten, unter dem latent die offene Gewalt lauert.

Eine brisante Konstellation, deren Präsentation auf der Theaterbühne sich als ebenso heikel erwies. Im Bremerhavener Theater erzählt die junge Hamburger Regisseurin Olga Wildgruber mit viel Fingerspitzengefühl eine realistische Geschichte, in der es um „das kalte Draußen“ und die Sehnsucht nach Nähe geht; im Jungen Theater versuchen Carmen Ott-Neuhaus und Anke Thiessen die Dramatik durch extreme Stilisierung zu befördern. Aber ihr Versuch scheitert. Das rabiate Geschehen soll hier ganz auf Sprechakte und Körpersprache reduziert werden. Die Darsteller Klemens Brysch und Liz Hencke agieren in einem leeren, abstrakten Raum, in dem sich nur fünf graue Stühle befinden. Das Konzept geht nicht auf: Während die Kettensäge ganz realistisch minutenlang einen unerträglichen Gestank verbreitet und im Verein mit Heavy-Metal-Gebrumme einen Höllenlärm veranstaltet, werden alle anderen Zutaten des Stücks nur behauptet oder vage angedeutet. So trägt der Herr des Hauses weder Maske noch Schürze, ebenso werden Bierflaschen oder sich beschwerende Nachbarn der Imaginationskraft des Publikums überlassen. Wer das Stück nicht kennt, muß sich den Rest mühsam zusammenreimen.

Kraussers bissiger Humor wird auf diese Weise verschenkt. Die Regie zwingt ihren Darstellern eine angestrengte Choreografie auf, die die heftigen und zugleich geistreichen Dialoge zudeckt. Zudem müssen die Akteure dauernd mit den Stühlen hantieren, sie herumrücken, drehen, wenden und auftürmen – diese „Lederfresse“ ist eine peinliche Bastelarbeit ohne Erkenntniswert.

Olga Wildgruber zeigt in Bremerhaven, daß es auch anders geht. Sie läßt sich ganz auf Kraussers Sprachwitz und die Spielsituation ein. So macht sie unter den düsteren Maskeraden, unter den vielen Worten und zynischen Sätzen den Schmerz und die Verzweiflung der Charaktere sichtbar. Wenn Frau und Mann für Augenblicke zur Ruhe kommen, wenn sie sich leicht kokett und theatralisch bis auf die Haut entkleiden – dies zur Musik von Mahlers fünfter Sinfonie – ; dann entstehen Bilder von geradezu anrührender Zärtlichkeit. Das wäre nicht möglich gewesen ohne das intensive Zusammenspiel von Christoph Maria Herbst und Anja Lais. Herbst gibt den jungen Mann stets leicht ironisch und jungenhaft-albern; Lais macht unter ihren lauten Tönen und gespreizten Gesten die empfindsame Frau sichtbar. Die dynamische Inszenierung, mal temporeich und dann wieder ganz ruhig, gehört zu den Höhepunkten dieser Spielzeit. Großes Gegenwartstheater auf einer kleinen Bühne. Hans Happel

Nächste Vorstellungen im Jungen Theater: 7. und 8. Mai (20.30 Uhr); im Stadttheater Bremerhaven (Kleines Haus): 7. und 8. Mai (20 Uhr)