Grüne wollen wieder Rammelboxen

■ Grüne Sozialpolitikerin Karoline Linnert fordert erneut das „Utrechter Modell“ für den Drogenstrich und Hilfen für die Prostituierten

Es bahnt sich ein politischer Streit um den Bremer Drogenstrich an. Während Innensenator Ralf Borttscheller in der letzten Woche seinen Kampf gegen die offene Drogenprostitution in der Humboldtstraße im Steintor lobt und weitere Maßnahmen zur Zerschlagung des Strichs ankündigt, hat die grüne Sozialpolitikerin Karoline Linnert eine alte Idee wiederbelebt: Bremen solle das „Utrechter Modell“ übernehmen, nach dem für die Drogenprostituierten ein bewachter Parkplatz mit abgetrennten Haltebuchten (im Volksmund: Rammelboxen) zur Verfügung gestellt wird. Mindestens aber sollte es wieder ein Hilfs- und Betreuungsangebot für die Drogenprostituierten vor Ort geben. Das war im Oktober 1992 im Steintor abgeschafft worden. Damals hatte zuerst die SPD-Bürger-schaftsfraktion und danach auch der Senat gegen den heftigen Widerstand des grünen Ampel-Koalitionspartners die Zerschlagung des Drogenstrichs beschlossen und damit die Diskussion des „Utrechter Modells“ vom Tisch gefegt.

taz: Frau Linnert, obwohl die Grünen vor vier Jahren mit dem „Utrechter Modell“ politisch auf die Nase gefallen sind, ziehen Sie es jetzt noch einmal aus der Tasche. Warum?

Karoline Linnert: Weil das Modell unverändert richtig ist, wenn man das Problem nicht weiter verdrängen und vergessen will. Es war auch nie in der Tasche, es war immer Bestandteil der Forderungen grüner Drogenpolitik.

Nun hat der Senat damals die Abschaffung des Drogenstrichs beschlossen – und es scheint sich ja tatsächlich etwas getan zu haben. Die Zahl der Drogenprostituierten in der Humboldtstraße ist weniger geworden...

...na ja. Nach dem Senatsbeschluß hat es eine Verunsicherung dieser Szene gegeben, und es ist zu einem leichten Rückgang gekommen. Das glaube ich auch. Aber es hat nicht diesen Rückgang gegeben, den ich bei Ihnen heraushöre. Man muß sich klarmachen, daß die Veränderung der Straßenverkehrs-Führung im Ostertor und Steintor Auswirkungen hatte. Die Nebenstraßen sind schlechter zu befahren, das heißt, ein Teil der Prostitution, der jetzt an der Humboldtstraße sichtbar ist, war vorher in den Nebenstraßen.

Danach hätte sich die Zahl der Drogenprostituierten kaum verringert.

Ja.

Es gab aber auch eine Reihe von Hilfsangeboten: zum Ausstieg, zur Substitution.

Man muß feststellen, daß das, was Fachleute schon immer gesagt haben, auch eingetroffen ist: Substitution aus ordnungspolitischen Motiven hat keinen fachlichen Hintergrund, ist schlichtweg falsch.

Was heißt das?

Ordnungspolitik heißt: Ich gebe den Leuten Methadon, damit sie aufhören, sich zu prostituieren. Die Erfahrung zeigt aber, daß das in den allermeisten Fällen so nicht funktioniert. Substitution kann nur einen einzigen Sinn haben, nämlich den Leuten die Chance zu geben, sich gesundheitlich zu stabilisieren. Wenn man das unerwünschte Verhalten Prostitution wegkriegen will, dann muß man da anders rangehen als über die Zerschlagung des Drogenstrichs oder Substitution. Der Substitutionsbeschluß ist damals gefallen, um den Leuten die Zerschlagung schmackhaft zu machen: Wir lassen die nicht ohne Hilfe, wir geben ihnen ja Methadon. Und das ist Unsinn.

Heißt das, die drogenabhängigen Frauen haben keine andere Chance als die Prostitution? Was zwingt die Frauen an die Humboldtstraße?

Ein Teil davon ist aus verschiedenen Gründen gar nicht im Methadonprogramm. Zum Teil, weil sie zu jung sind, zum Teil, weil sie nicht in Bremen gemeldet sind, aber trotzdem hier leben, ein Teil erfüllt aus welchen Gründen auch immer die Kriterien des Methadonprogramms nicht. Und dann gibt es einen großen Teil der Frauen, die von Sozialhilfe leben. Die Sozialhilfe ist zu knapp, und deshalb gibt es auch über die Methadonvergabe hinaus nach wie vor Prostitution.

Nun scheint es ja innerhalb des Senats kein großes Interesse zu geben, dort sozialpolitisch aktiv zu werden. Im Gegenteil, der Innensenator hat bei seiner Pressekonferenz gesagt: „Ich behaupte, daß wir in einem Land leben, in dem Frauen nicht von der Prostitution leben müssen.“ Wer müßte denn nun politisch reagieren, wer hat den schwarzen Peter? Der Innensenator? Die Sozialsenatorin?

Schwarze-Peter-Spiele nützen niemandem, am wenigsten den Frauen. Man kann die Sache nur gemeinsam angehen. Man muß Vereinbarungen mit der Polizei eingehen. Man muß sich politisch bewegen und von diesem unseligen Zerschlagungsbeschluß runterkommen. Wenn Borttscheller jetzt so redet, dann macht mich das schon mutlos.

Gibt es denn innerhalb der anderen Bürgerschaftsfraktionen SozialpolitikerInnen, die das genauso sehen und die Ihre Vorschläge unterstützen wollen?

Bisher gehe ich davon aus, daß das gesundheits- und sozialpolitisch unter fachlichen Gesichtspunkten Konsens ist. Die anderen sind nicht so weit, sich auf das „Utrechter Modell“ einzulassen. Aber schon ein Nachtangebot würde eine Menge helfen.

Das heißt die Stationierung eines Versorgungsbusses. Wie damals in der Friesenstraße: Kaffee, Spritzen und Kondome.

Ja.

Nochmal zum „Utrechter Modell“. Die Älteren werden sich erinnern, daß vor ein paar Jahren da die unterschiedlichsten Varianten diskutiert worden sind. Da gab es die Rammelboxen, gegen die sich der damalige Innensenator Friedrich van Nispen ausgesprochen hat – welches Modell schwebt Ihnen da vor? Und vor allem: Wo sollte es hin?

Das „Utrechter Modell“ ist eng definiert. Man weist einen Parkplatz aus, wo über Stellwände Parkräume für Autos entstehen. Es gibt einen engen Eingang – das ist die Hürde dagegen, den Geschlechtsverkehr außerhalb dieses umgrenzten Raumes stattfinden zu lassen. Und am Eingang findet Beratung statt. Das Problem damals war, daß wir in erträglicher Nähe zum Drogenstrich keinen Standort gefunden haben. Daß die Bevölkerung das nicht haben will, das weiß ich, aber aus fachlicher Sicht ist das das einzige Modell, das den Frauen das notwendige Maß an Hilfen gibt und ihnen die Möglichkeiten gibt, darüber auszusteigen.

Wo soll denn dieser Parkplatz liegen?

Van Nispen hatte vorgeschlagen, den Drogenstrich an den Holzhafen zu vertreiben. Das hat das Problem, daß es dort die Nähe zu dem „normalen“ Straßenstrich gibt. Die beiden Gruppen mögen sich nicht so besonders. Ich finde sowieso, daß der Standort zu weit weg vom jetzigen ist. Den Strich dorthin zu vertreiben, das klappt nicht. So ein ausgewiesener Parkplatz muß im Umkreis sein.

Bündnispartner bei der Suche nach einem Standort für das „Utrechter Modell“ müssen die Anwohner der Humboldtstraße sein. Ich finde deren Position richtig, daß Drogenprostitution nichts in einem Wohngebiet zu suchen hat.

Mit anderen Worten: Der Parkplatz am Weserstadion ist die Lösung.

Das ist einer der Standorte, die die Grünen damals vorgeschlagen haben – mit den entsprechenden Ergebnissen, bis hin zu nächtlichen Anrufen bei mir. Fragen: J.G.