: Kühlschränke mit 6-Appeal
Gesichter der Großstadt: Hinter den ominösen Sechsen mit den großen weißen Punkten steckt „Dr. Rex Dildo“, der mit sexuellen Visionen für sich wirbt ■ Von Andreas Becker
Begonnen hat es mit einem Atom-Vibrator. Der sollte Hitze erzeugen und war gleichzeitig ein Protest gegen die Atompolitik der Bundesregierung. Der Erfinder des Geräts nannte sich Long John Merkel.
Dann fing er an, die Formel E=MC2 an Häuserwände zu schreiben. Daß die Einsteinformel sich auf dem Markt der Mauerschriften nicht durchsetzen konnte, ist für „Dr. Rex Dildo“, wie sich Rainer im Moment nennt, ein Beleg für den Einsteinsatz: „Unendlich ist das Universum und die Dummheit der Menschen.“
Eine neue Formel mußte her, und sie sollte, wie ein erfolgreiches Warenzeichen, kurz und bündig sein. Das war die Geburt der 6. Denn die macht sich besonders gut auf den vielen herrenlosen Kühlschränken, die Rainer nachts auf die Mittelstreifen wuchtet.
Dr. Dildo chiffriert Kühlschränke, alte Bügelbretter, Schaumgummiteile, Stühle und Fernseher und mehr. Oder er übermalt Plakate. Im Winter hat er die ganze Stadt mit Tannenbäumen markiert. An dem Bauschild an der Kochstraße 16 (GSW) und vor der taz hängen noch immer Tannenzweige. In der Oranienstraße steht ein ganzer Skulpturengarten, der von der Hochbahn aus sichtbar ist: „Dr. Rainer Rex Dildos Naturheilkundepraxis.“ Rainer sagt gern „Dildo-Art“, eine Eigen-Markengebung im Schwitterschen Merz- Sinn? Warum Sex und nicht Sieben? „Nee, Ziel meiner Gestaltungen ist eine sexuelle Assoziation, was dann einen Frageprozeß in Gang setzt. Das ist Werbung für mich. Sexualität ist ja interessant. Ich hatte allerdings mit mehr Protest gerechnet, gerade von Frauen.“
Die „Sechs“ malt Rainer mit einem langen Hals, den er gern als Kunst-Penis gestaltet: „Das ist auf jeden Fall Kunst, es haben schon andere Striche gemalt, die als Künstler anerkannt waren. Im nachhinein mußte ich allerdings feststellen, daß manche Techniken nicht so neu waren. Keith Haring hat Plakate übermalt. Und in Hamburg gab es die Smilie-Sache, und der Schweizer, der mit Menschen agiert hat, der Zürcher Sprayer.“
„Die Hauptaufgabe aber ist es, Punkte zu setzen, weiße Punkte.“ Die Punkte haben drei bis vier Zentimeter Durchmesser. Durch „minimale Gestaltung“ will sich Rainer die Polizei vom Leibe halten. Wie die Sechsen sind auch die Punkte aus weißer Wandfarbe, von der er bis zu dreieinhalb Liter am Tag verbraucht.
Rainer hat eine Ausbildung als Chemielaborant gemacht, war Alten- und Fußpfleger, später Erfinder – und Künstler. „Das ist auch Arbeit, ich mache das im Durchschnitt so sechs Stunden am Tag, auch am Wochenende. Es gab Zeiten, da habe ich zwölf Stunden gemalt, acht Stunden davon auf dem Rad. Irgendwann muß ich damit Geld verdienen.“
Mit der Finanzierung seines Kunstprojekts ist er bis jetzt einigermaßen klargekommen. Dildo- Rainer lebt in einer Wagenburg, Arbeiter haben ihm kurz nach seiner Ankunft in Berlin vor einem Jahr drei alte DDR-Bauwagen geschenkt. Alle sechs bis acht Wochen fährt er in seinen Heimatort und arbeitet als Fußpfleger für seine alten Kunden. Immer wenn Rainer nach Westdeutschland fährt, holt er sich einen Schnupfen. Die Heizungsluft verträgt er nicht: „Ich habe den ganzen Winter im Bauwagen nicht geheizt, sondern unter meiner Decke gelegen.“ Er verabscheut Autos, drei seiner Freunde in dem pfälzischen Ort, aus dem er kommt, sind durch Autounfälle ums Leben gekommen. Der Ort Böhliggenheim schaffte als letzter in Deutschland die Prügelstrafe ab und wurde gleichzeitig bekannt durch die Produktion von Telefonzellen. Ein Lehrer von Rainer hat die Schüler bei Strafbedarf manchmal an den Beinen festgehalten und aus dem Fenster im 3. Stock der Schule baumeln lassen.
Rainer ist fast immer mit dem Fahrrad unterwegs. Trotz aller Vorsicht bekommt er manchmal Ärger mit der Polizei. „Jüngst habe ich gerade die Strichmethode gebracht, im Ampelbereich während der Fahrradfahrt einfach Striche zu ziehen. Zu diesem Zwecke ist ein Farbtopf im Nabenbereich montiert. Dazu kommt der langstielige Pinsel. Das ist halt die Gestaltung, die am allerschnellsten geht, weil ich das auch bei sehr hoher Geschwindigkeit machen kann.“ Nach vier Strichen stand die Polizei vor ihm. Die sagten, er solle aufhören oder er bekäme eine Anzeige. Er habe weitergemacht, sagt Rainer, das sei seine künstlerische Freiheit. „Jetzt bekomme ich 'ne Anzeige.“
Rainers Dildo-Visionen bestehen aus Sexphantasien und Kunstversuchen per Fahrrad. Fahrrad ganz besonders. Er will die Leute wegbringen vom Auto: „Ich habe allen die Freundschaft aufgekündigt, die noch Auto fahren.“ Er hat 25 Fahrradskulpturen im Stadtgebiet verteilt. Gleich bei seiner ersten Radinstallation an einem Laternenmast vor Christos Reichstag ist ihm ein Carbonrad geklaut worden. Seit neuestem nennt er sich auch Martin. So heißt ein Freund, der tödlich mit dem Rad verunglückt ist, und ein Fahrradanhänger, den Rainer erfunden hat.
Die nächste Aktion ist auch schon geplant: Das Fahrrad des Autors soll an einem ausgewählten Laternenmast vor dem Café Kranzler aufgehängt werden.
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