Sanssouci
: Vorschlag

■ Beatnik ohne Bebop: Lloyd Cole in der Passionskirche

Wie schnell die Zeit fließen kann! Höre ich die Zeilen „When she smiles my way, my eyes go out in vain, she's got a perfect skin“, scheint es mir, als sei es gestern gewesen. Doch auf dem Plattencover steht 1984. Der frisch daherdängelnden Unbekümmertheit jener Tage im britischen Pop (mal abgesehen von den Smiths) setzte Cole zwar einen musikalisch nicht unähnlichen, allerdings meist molliger gehaltenen Entwurf entgegen und suggerierte durch das Timbre seiner Stimme den allzu früh gealterten Melancholiker. Mit seinen nur auf den ersten Blick offensichtlichen Texten trachtete der damals blutjunge Cole danach, sich das Erbe von Bob Dylan zu erschleichen, den er mit seinen Commotions live auch gerne coverte, während er sich auf Fotos abwesend mit den Händen durch die Haare fuhr, ernst zur Seite blickte und den Beatnik ohne Bebop mimte, dem zu Geigen allerlei Selbstreflexion entfuhr: „It was much more than style, to get sand into my eye“. Einer, der sich zum ganzheitlichen Popstar stilisierte und doch nur das Bedürfnis weckte, ihn mal zu knuddeln.

Daß Cole dann aus meinem Bewußtsein verschwand, war wahrscheinlich nicht so sehr seine Schuld. Und wenn ich jetzt seine neue Platte „Love Story“ höre, frage ich mich nicht mal, was seitdem mit ihm passiert ist. Wie ein alter Freund, den man sofort wieder versteht, der einem aber auch schnell wieder auf die Nerven gehen kann. Zwar heißt es nicht mehr Lloyd Cole & The Commotions, aber die entscheidende Figur der Begleitband, Gitarrist Neil Clark, ist noch genauso dabei wie die immer sommerlich und dabei doch traurig dahingehuschten, mittlerweile fast ausschließlich akustischen Harmonien. Und natürlich sein lamentierender Gesangsstil, durch den Selbstmitleid plötzlich zur positiven Eigenschaft wurde. Dafür muß man immer noch in Stimmung sein, auch wenn der frischgebackene Vater die Silben nicht mehr so manieriert dehnt. Kürzlich hat mir jemand gestanden, daß auch ihm der Song „Perfect Skin“ einmal etwas bedeutet hat, und damit sind wir schon zwei. Und das ist doch mehr als die meisten Musiker von sich sagen können. Thomas Winkler

Heute, 20 Uhr, Passionskirche, Marheinekeplatz, Kreuzberg