Nach dem Schock der Blick nach vorn

■ Nach dem Scheitern der Fusion beginnt die Suche nach neuen Wegen der Zusammenarbeit. SPD-Fraktionschef Böger rechnet jetzt mit erheblicher Konkurrenz mit Brandenburg

„Diejenigen, die glauben, wir könnten eine Zusammenarbeit mit Kooperationsverträgen leisten, quatschen eben und wissen nichts über die Realität“, grollte SPD- Fraktionschef Klaus Böger mißgelaunt, als kurz nach 18 Uhr klar war, daß die Länderfusion gescheitert war. Beide Länder würden nun miteinander konkurrieren, und Berlin werde etwa beim privaten Wohnungsbau, aber auch bei der Wirtschaftsförderung „kräftig“ zulegen.

Die erste Nagelprobe werde nun die Entscheidung über den Standort eines Großflughafens sein, sagte Justizsenatorin Lore- Maria Peschel-Gutzeit (SPD), die im Aufsichtsrat der Flughafen Holding sitzt. Wenn Brandenburg nun nach dem Scheitern der Volksabstimmung erst recht auf einen Berlin-fernen Standort bestehe, sei das Projekt gestorben: „Dann reibt der Bund sich die Hände.“ Bei Spezialeinrichtungen wie einem Vollzugskrankenhaus müßten Potsdam und Berlin aber in jedem Fall kooperieren, weil sich jeweils eine Einrichtungen in jedem Land nicht rechne.

Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) zeigte sich ebenfalls enttäuscht. An den Kosten für zwei Länderministerien könne nun im wesentlichen nicht gespart werden. Der auf Berlin entfallende Anteil müsse nun an anderer Stelle im öffentlichen Dienst oder bei den Ausgaben gespart werden. Finanzexperten hatten im Falle einer Fusion mit Einsparungen von insgesamt einer Milliarde Mark in einem gemeinsamen Land gerechnet. Wie Böger schloß die Finanzsenatorin aber aus, daß Berlin nun mehr Kredite aufnimmt, als es bislang vorgesehen ist.

Kultur und Wissenschaftssenator Peter Radunski versuchte gestern, dem Ergebnis Positives abzugewinnen. Die Ergebnisse in Berlin wertete er als „persönliche Genugtuung für Diepgen“. Sie zeigten, daß ihm die Berliner in „grundlegenden Dingen“ immer noch folgten. Gespannt blickt Radunski, früherer Wahlkampfmanager der CDU, der weiteren Arbeit der Großen Koalition entgegen. Mit dem Scheitern der Fusion fehlten SPD und CDU „die große Perspektive“.

Nun müsse sich zeigen, wie man sich wieder auf die „Innerberliner Perspektive“ konzentriere. Er sei sich mit seinem Kollegen Steffen Reiche (SPD) in Brandenburg einig, daß wir „im Kultur- und Wissenschaftsbereich so tun, als sei die Fusion zustande gekommen“. Die von der Schließung bedrohte Agrarfakultät an der Humoldt- Universität, deren Weiterbestand die Große Koalition vom Erfolg der Länderehe abhängig gemacht hatte, bleibe „nach wie vor auf der Tagesordnung“, so der CDU-Politiker, ohne sich jedoch konkret festzulegen. Der SPD-Haushaltsexperte Klaus Wowereit meinte, die Brandenburger müßten sich bis Mitte dieses Jahres entscheiden, ob sie die Agrarfakultät mitfinanzierten. Ansonsten werde die Fakultät „beerdigt“.

Enttäuscht zeigte sich Innensenator Jörg Schönbohm (CDU). Ministerpräsident Stolpe müsse sich fragen, warum „er seine Brandenburger so wenig kannte“. Für Berlin gehe es jetzt vor allem darum, Schwung in den Hauptstadtprozeß hineinzubringen. Einen zweiten Anlauf zu einer Fusion schloß der Exgeneral bis 1999 aus. Alles andere wäre „töricht“. Im Zusammenhang mit den im im Spätsommer anstehenden Beratungen zum Haushalt 1997 erklärte Schönbohm, er schließe nicht aus, daß es „hie und da zu Korrekturen kommt“. Eine Anhebung der Nettoneuverschuldung halte er augenblicklich nicht für sinnvoll. Der Senat sollte seinen bisherigen Kurs der Haushaltsdisziplin weiterführen. Eine höhere Schuldenaufnahme könne, wenn überhaupt, erst „am Ende“ einer Debatte über den weiteren Kurs in der Finanzpolitik und einer zuvor erfolgten Prioritätensetzung stehen.

„Das ist ein Votum gegen Brandenburg“, meinte Heinz Dürr, Chef der Deutschen Bahn AG (AG). Nachdem ausgerechnet die PDS eine Antifusionskampagne gefahren habe, würden Wirtschaftsunternehmen sich hüten, in Brandenburg zu investieren. Dort werde es deshalb eine negative Wirtschaftsentwicklung geben, die sich auch negativ auf die Umsätze der Bahn auswirken werde. Am mittelfristigen Ausbauprogramm in Brandenburg werde die Bahn dennoch festhalten. Severin Weiland/Dirk Wildt