■ Querspalte
: Von den Schotten lernen

Stellen Sie sich vor, es ist Europatag, und in Schottland hängen keine Europafahnen aus. Ist Ihnen wurscht? Das sollte es nicht.

Sie übersehen den zivilisatorischen Fortschritt, der in dieser Weigerung steckt. Da tragen Europa und Großbritannien den schärfsten Konflikt ihrer Geschichte aus, und die Schotten sind mittendrin. Weil sie dummerweise auf der gleichen Insel leben wie diese Engländer, die sie so schon nicht leiden können. Und deshalb dürfen sie jetzt auch nicht ihre schottischen Rinder exportieren, obwohl die nicht so häufig wahnsinnig werden wie die englischen.

Also sind die Schotten sauer. Auf die Engländer – das sowieso –, aber auch auf Europa. Der britische Schottland-Minister Michael Forsyth jedoch ist nur auf Europa sauer, er ist schließlich ein Minister ihrer Majestät. Damit auch ja alle Schotten sehen, wie sauer er ist, hatte er für den gestrigen Sonntag angeordnet, keine einzige blaue Flagge mit den goldenen Sternen auszuhängen.

Damit sind alle zufriedengestellt. Die Schotten sühnen die menschliche Tragödie ihrer Bauernschaft. Die Engländer sind froh, daß es mal nicht gegen sie geht. Und Kontinentaleuropa ist es eigentlich gerade egal, welche Fahnen in Schottland aus dem Fenster hängen.

Genau das ist der zivilisatorische Fortschritt. Ach, würden doch nur alle Konflikte dieser Welt auf derart feinsinnige Weise ausgetragen. Wenn's noch härter kommt, kann man ja sogar mal eine Flagge verbrennen. Gewalt gegen Fahnen kann Leben retten. Auch innenpolitische Konflikte können so wirksam entschärft werden. Kein Zufall, daß gerade in den USA mit seinen hochgerüsteten Bürgern das Verbrennen der eigenen Flagge unter dem Schutz der Verfassung steht.

Nur die amerikanischen Rechtsradikalen bringen es nicht übers Herz, die Stars and Stripes zu verkokeln. Deshalb sprengen sie ab und zu Bürohochhäuser in die Luft. Soweit darf es nie wieder kommen. Von Schottland lernen heißt Frieden lernen. Christian Rath