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Generalprobe fürs Querstellen

Das Wochenende vor Castor: 10.000 Demonstranten, dazu Wasserwerfer, Knüppel und 150 Menschen stundenlang im „Karwitzer Kessel“  ■ Aus Gorleben Jürgen Voges

Die Vorsitzende oben auf der Tribüne unterbricht immer wieder ihr rhythmisches Klatschen, um den Fahrzeugführern zuzuwinken, die unter ihr langsam im Konvoi vorbeiziehen. Es ist eine Parade der besonderen Art, hier auf dem Dannenberger Marktplatz am Samstag mittag. 146 Traktoren, zwischen sie hat sich ein Pulk von fünfzig schweren Motorrädern geschoben. Die Vorsitzende auf der Tribüne trägt einen grünen Pullover und Jeans, heißt Birgit Huneke und ist Chefin der BI Lüchow-Dannenberg. Mit ihr klatschen zum Abschluß der Kundgebung zehntausend zum Reggae- Rhythmus des immer gleichen Songs, der aus den Boxen dröhnt. Derweil belagern neuntausend Polizisten schon jetzt wieder das Wendland – vier Tage vor der geplanten Ankunft des zweiten Gorleben-Castors.

Anschließend formiert sich die Demonstration zu einem riesigen Schriftzug aus Menschen („Wir stellen uns quer“) auf der Bundesstraße 191, über die weiter hinten der Castor rollen soll. Natürlich sind wieder diejenigen dabei, die seit Jahren in Gruppen organisiert sind. Sie haben schon jetzt geplant, wie sich auf den zwanzig Kilometern, die zwischen Dannenberg und dem Zwischenlager liegen, doch noch eine Blockade organisieren läßt. Dazugestoßen sind diesmal auch viele Fünfzehn- bis Zwanzigjährige, die mit schwarzer Kleidung ihre antistaatliche Gesinnung dokumentieren wollen. Dennoch haben sie die Sympathien der meisten Dannenberger.

Auch Mode- und Autohaus „stellen sich quer“

In der lokalen Elbe-Jeetzel-Zeitung sind am Samstag noch einmal seitenweise Anzeigen gegen den Transport erschienen. Ganzseitig kündigen siebzig Ärzte an, daß sie bei der Blockade mitmachen und einen ärztlichen Notdienst dafür organisieren werden. Geschäfte vom Mode- über das Autohaus bis hin zum Spielzeugladen kündigen an, daß auch sie sich „querstellen“ und am Transporttag schließen werden.

Viele Einzelereignisse hätten die Empörung gesteigert, erklärt Birgit Hunecke die Stimmung. Die Wassereinbrüche im Salzstock genauso wie die Diskussion über die bisher unterschätzten Gefahren der Neutronenstrahlen – aber auch, daß sich erst kürzlich herausgestellt hat, daß es eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Rücknahme der WAA-Abfälle aus Frankreich gar nicht gibt.

Mit dieser Stimmung wird es die Polizei in den kommenden Tagen schwer haben, das zeigt sich bereits am Samstag nachmittag. Vier Kilometer vor Dannenberg, am alten Bahnhof von Karwitz, hat der Bundesgrenzschutz gegen 2 Uhr 150 junge Leute festgesetzt, die dort siebzehn Gleismuttern abgeschraubt haben. Gleich nach der Demo in Dannenberg kommen dann Bauern mit ihren Traktoren und mit ihnen an die tausend Demonstranten an. Sie umringen die einigen hundert Grenzschützer und Bereitschaftspolizisten. Den ganzen Nachmittag über kann die Staatsmacht durch diesen „Karwitzer Kessel“ weder die Busse mit den festgesetzten Schienenschraubern abtransportieren noch Verstärkung durchbringen. Die jugendlichen Castor-Gegner kündigen zwar mit lautstarken Parolen die Befreiung der 150 Eingekesselten an, belassen es dann aber trotz ihrer Überzahl bei einigen Drängeleien an den dünnen Polizeiketten. Aber die Castor-Bahnstrecke ist nun den Jugendlichen ausgeliefert, wird unterhöhlt, mit Baumstämmen bearbeitet.

Rechtsanwälte und auch die BI versuchen zu vermitteln, einigen sich auch mit den bedrängten Einsatzleitern vor Ort: Abzug aller gegen Freilassung der Eingekesselten, deren größter Teil seit über vier Stunden ohne WC in zwei Gefangenentransportern hockt. Doch die Gesamteinsatzleitung will an diesem Tag Stärke demonstrieren, bringt schließlich kurz vor 19 Uhr Wasserwerfer als Ersatz für ihre blockierten Truppen durch. Die werden dann prompt zuerst gegen diejenigen Demonstranten eingesetzt, die der letzten polizeilichen Aufforderung gefolgt sind und sich von der Straße auf einen Acker zurückgezogen haben. Danach heißt es „Knüppel frei“, während wütende Demonstranten Strohbüschel in Richtung Polizei werfen.

Von sechs verletzten Demonstranten berichtet später die BI, eine Frau, die nach Schlägen in die Nierengegend das Bewußtsein verliert, muß ins Krankenhaus eingeliefert werden. Um Mitternacht werden schließlich alle 150 Eingekesselten aus dem Polizeigewahrsam in einer alten Kaserne wieder entlassen.

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