Trostpreis: Umzug der Regierung

■ Bürgermeister Diepgens Zukunft ist dennoch gesichert

Berlin (taz) – Verloren und doch nicht untergegangen, so ähnlich muß sich Eberhard Diepgen, der Regierende Bürgermeister Berlins (CDU), gefühlt haben, als die erste Prognose zur Fusionsabstimmung im Berliner Jagdschloß Glienicke über den Bildschirm flimmerte. Denn nicht die Berliner, sondern die Brandenburger spülten das Projekt eines gemeinsamen Landes in den Orkus.

Damit dürfte sich der innerparteiliche Zorn auf Diepgen in Grenzen halten. Eine Niederlage in Berlin, so war immer wieder in der 80köpfigen CDU-Parlamentsfraktion gemunkelt worden, könnte der Parteichef nicht unbeschadet überstehen. Schon auf dem letzten Landesparteitag hatten manche Delegierte ihren Zorn gegenüber der angeblich zu großen Kompromißbereitschaft ihres Landesvorsitzenden gegenüber der SPD Luft gemacht. Denn das Projekt Länderehe war nicht nur von Diepgen, sondern vor allem von der SPD vorangetrieben worden.

Seit gestern, das mag für Diepgen der einzige Trost gewesen sein, darf er aufatmen. Die Anti-Diepgen-Front hat der Berliner Zustimmung zur Fusion das Wasser nicht abgegraben. Vorerst zumindest. Ihr mangelt es an personellen Alternativen. Weit und breit ist – noch – kein Nachfolger in Sicht. Diepgens Studienfreund Klaus- Rüdiger Landowsky, allmächtiger CDU-Fraktionschef, hatte in den vergangenen Wochen dem Konflikt vorsorglich die Spitze genommen: Auch nach einer Niederlage werde „die Welt nicht untergehen“.

Assistiert wurde ihm dabei vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Klaus Böger, der seine Partei nach den Wahlen vom Oktober wieder in die Große Koalition geführt hatte. Der Rettungsanker heißt nun für beide Parteien: Hauptstadtumzug. Das ist der Trostpreis, an den man sich halten wird. Dabei hatte sich gerade die SPD, ansonsten in Berlin ein zuweilen sehr zerstrittener Haufen, in seltener Geschlossenheit für die Fusion stark gemacht.

Kaum ernst gemeint dürften vereinzelte Stimmen aus der SPD noch vor dem 5. Mai sein, eine Neuauflage der Volksabstimmung zu wagen. Der SPD-Vorsitzende Detlef Dzembritzki soll, so wurde auch gestern abend kolportiert, im Besitz eines solchen Papiers sein. Damit hätten in den kommenden Monaten die Probleme zweier getrennter Länder in den Vordergrund gestellt werden sollen. Während im Fall einer Fusion Kommissionen beider Landesregierungen und der Parlamente gemeinsame Gesetze, eine neue Landesverfassung und die Gelder- wie Schuldenverteilung zwischen Land und Stadt Berlin im Detail ausgearbeitet hätten, werden nun beide Länder faktisch weiterhin getrennt über ihre Finanz-, Verkehrs- und Wirtschaftspolitik entscheiden. Nur in einzelnen Fällen, etwa bei der Abfall- und Abwasserpolitik, wollen die Regierungen Staatsverträge abschließen.

Nach der ersten Prognose, die Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und Diepgen mit angestrengt ernsten Gesichtern im Garten des Jagdschlosses Glienicke kommentierten, waren beide um Zurückhaltung bemüht. Stolpe gratulierte artig seinem Partner, mit dem er seit 1992 in unzähligen Sitzungen den nun hinfälligen Staatsvertrag ausgehandelt hatte. Die Abstimmung, so tröstete Diepgen seinen zerknittert dreinschauenden Kollegen, sei „keine Absage an notwendige Koordination und Zusammenarbeit“. Daß diese, auch ohne Fusion, kommen muß, war schon vor dem gestrigen Sonntag klar. Nur wie, das werden nicht nur die nächsten Wochen, sondern Jahre zeigen. Severin Weiland/Dirk Wildt