Berlin und Brandenburg bleiben Singles

■ Die Volksabstimmung über die Fusion ist an den Brandenburgern gescheitert. Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD): „Schwere Niederlage“. In Berlin stimmten 60 Prozent zu. Wiederholung des Plebiszits unwahrscheinlich

Berlin (taz) – Die Brandenburger wollen nicht mit den Berlinern vereinigt werden: Der Zusammenschluß ist bei der gestrigen Volksabstimmung nach den ersten Prognosen gescheitert. Der unmittelbar nach Schließung der Wahllokale in der ARD veröffentlichten Infas-Prognose zufolge stimmten in Brandenburg 55 Prozent der Wähler mit Nein; 44 Prozent der dort abgegebenen Stimmen waren Jastimmen, ein Prozent war ungültig. In Berlin stimmten 60 Prozent der Länderfusion zu, 39 Prozent stimmten mit Nein; ein Prozent der Stimmen war ungültig. Falls sich die Prognose bestätigt, wäre die Fusion gescheitert. Für die Prognose wurden 3.000 Brandenburger und 5.000 Berliner in insgesamt 250 Wahllokalen befragt.

Der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) räumte sichtlich enttäuscht eine „schwere Niederlage“ ein: „Das Zukunftsprojekt ist an Brandenburg gescheitert.“ Nun stünden die potentiellen Ehepartner vor einem „Scherbenhaufen“: „Damit sind viele mit der Einigung verbundene Vorhaben gefährdet.“ Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) diagnostizierte: „In Brandenburg sind die Vorbehalte gegen die alte Hauptstadt der DDR zu groß.“ Die Fusionspläne seien weder von der Politik noch von der Bevölkerung angenommen worden. „Berlin hat seine Pflicht erfüllt“, befand Klaus Landowsky, Vorsitzender der Berliner Landtagsfraktion der CDU, „ich hätte mir gewünscht, daß Brandenburg ähnlich wie Berlin abgestimmt hätte, zumal Brandenburg am meisten von einer Fusion profitiert hätte.“

PDS-Bundeschef Lothar Bisky, dessen Partei die Fusion ablehnt: „Es gibt keinen Sieger, und ich habe kein Glücksgefühl.“ Jetzt müsse vernünftige Politik durch die Zusammenarbeit beider Länder gemischt werden. Laut der Berliner PDS-Landesvorsitzenden Petra Pau habe das Abstimmungsergebnis die Unzufriedenheit der Menschen mit der Politik der Regierenden in Berlin und Brandenburg bestätigt. Weder die Berliner noch die Brandenburger Landesregierung haben den Menschen Visionen anbieten können.

Auch wenn das Ergebnis insbesondere für Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD), aber auch für Berlins Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) eine Niederlage ist, hat der Ausgang der Volksabstimmung dennoch keine unmittelbaren Auswirkungen auf die politische Karriere beider Männer. Bereits vor der Abstimmung hatten sowohl Stolpe wie Diepgen angekündigt, auch bei einem Scheitern der Fusion im Amt bleiben zu wollen: „Weglaufen gilt nicht.“ Diepgen sieht sich sogar als Gewinner, hat doch in Berlin eine Mehrheit für die Länderehe gestimmt.

Eine Wiederholung der Volksabstimmung wird es wahrscheinlich nicht geben. Zumindest glauben beide Regierungschefs nicht an einen zweiten Anlauf. „Ich bin ganz sicher, daß das auf viele, viele Jahre nicht zu wiederholen ist“, sagte Stolpe. Berlin und Brandenburg würden nun zunächst nebeneinander und „am Ende gegeneinander“ arbeiten. Diepgen befürchtete, daß nun „viele Ziele nicht mehr zu erreichen sind“. So werde der Speckgürtel von Berlin weiter zersiedelt.

Die Gremien der Regierungsparteien von Berlin und Potsdam wollen sich heute auf Krisensitzungen mit der gescheiterten Länderehe auseinander. In Berlin gibt es trotz der Desillusionierung der Regierungschefs zumindest in der SPD vereinzelt Stimmen für eine Neuauflage der Volksabstimmung. Der SPD-Vorsitzende Detlef Dzembritzki soll im Besitz eines Papiers sein, in dem seine Genossen einen erneuten Anlauf fordern.

Während bei einer Fusion Kommissionen beider Landesregierungen und Landtage gemeinsame Gesetze, eine Landesverfassung und die Gelder- wie Schuldenverteilung zwischen Land und Stadt Berlin ausgearbeitet hätten, werden nun beide Länder faktisch weiterhin getrennt über ihre Finanz-, Verkehrs-, Landesentwicklungs- und Wirtschaftpolitik entscheiden. Dirk Wildt