Trommeln für Kafka

■ Zum Abschluß der Pro Musica Nova war die Uraufführung von Uwe Raschs Kammeroper „Korridor“ zu hören – unter jedem Sitz

Künstlerische Wechselbäder herbester Art gab es am letzten Tag der diesjährigen „Pro Musica Nova“. Nachdem am Nachmittag das niederländische „Orkest de Volharding“ in der Schauburg das Publikum mit seinen virtuosen und fetzigen Bläserklängen mitgerissen hatte, brachte der Abend im Schauspielhaus schwerere Kost. Die Uraufführung der Kammeroper „Korridor“ von Uwe Rasch hinterließ Ratlosigkeit. Aber genau das entspricht Raschs Thema: „... diese ausgezeichnete deutsche Redensart: sich in die Büsche schlagen ... ich habe mich in die Büsche geschlagen. Ich hatte keinen anderen Weg, immer vorausgesetzt, daß nicht die Freiheit zu wählen war“ – dies eines von mehreren ausgewählten Kafka-Zitaten, die um die Ausweglosigkeit kreisen und die der Bremer Komponist direkt in musikalische Materie umsetzt.

Konkret bedeutet das, daß die fünf weiß geschminkten Schlagzeuger mit zehn Trommelinstrumenten eine unbeschreibliche Menge an leisesten Klängen zu produzieren haben. Das zarte Klangergebnis scheint in keinem Verhältnis zum Aufwand zu stehen. „Orientierungsverfahren für fünf zischende Schlagzeuger, einen Körpertrommler und Tonband“ ist der Untertitel des einstündigen Werkes – doch zu Orientierungen kommt es niemals. Alle etwaig gefundenen Wege verlieren sich sofort wieder, es gibt kein Geschehen, nur immer mehr Verfall. Die von einigen HörerInnen kritisierte Länge des Stückes ist allerdings die angemessene ästhetische Umsetzung der Idee einer definitiven Vergeblichkeit allen Tuns. In diesem Sinne ist auch der Titelbegriff „Korridor“ zu verstehen: es bleibt offen, wo ein „Korridor“, ein Durchgangsraum, hinführt oder eben nicht hinführt.

Bleibt die Ebene der Schlagzeuger noch abstrakt, so führt Uwe Rasch mit der Partie des Körpertrommlers ein Element ein, dem man sich sehr viel schwerer entziehen kann. Der Körpertrommler – gleichzeitig Trommler und Trommel – nutzt seinen Körper als Instrument, trommelt, kratzt, wischt, schlägt auf seine Körperteile. Nur mit einer Unterhose bekleidet, weiß geschminkt, steht er in fest verankerten Skischuhen, die einerseits ein Fortkommen verhindern, die ihm andererseits bei größeren Bewegungen Halt verleihen. Die Bilder, die eine Videokamera an seinen Unterarmen aufzeichnet, erscheinen auf einer Leinwand, zeigen mikroskopisch Körperteile, Haut und Haare des Trommlers, aber auch immer andere Perspektiven des Raumes.

Ein science-fictionartiges Raumrauschen – gewonnen aus dem zehn Oktaven heruntergelegten „Lamento d'Arianna“ von Claudio Monteverdi mit dem signifikanten Beginn „Lasciate mi morire“ – und eine über 150 Saallautsprecher, unter den Sitzen angebracht, übertragene Trommel-Tonbandpartie tragen weiter dazu bei, die HörerInnen nicht außen vor zu lassen, sondern sie – physisch erfahrbar – ins Geschehen hineinzunehmen.

Den äußerst konsequenten Gesamteindruck erreichten die exzellenten SchlagzeugerInnen Francoise Rivalland, Christian Dierstein, Stephan Froleyks, Stephan Meier und Adam Weisman. Allen voran aber der Körpertrommler Matthias Kaul, eine ausgemergelte Leidensgestalt von großer Suggestionskraft.

Die Uraufführung war Abschluß und in ihrer mutigen Ambitioniertheit ein Höhepunkt des Festivals. Die Konzeption der „Pro Musica Nova“, erstmals unter Leitung von Marita Emigholz, läßt in ihrer ganz eigenen Handschrift zum ersten Mal seit Jahren wieder hoffen, daß Radio Bremen in der Reihe der Festivals mit zeitgenössischerMusik ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hat – so, wie früher unter Leitung von Hans Otte. Die meist ausverkauften Konzerte bewiesen, daß man bei hervorragenden Konzerten und einer geschlossenen Konzep-tion von der Unverständlichkeit,gar vom Ghetto-Charakter der Neuen Musik nicht sprechen kann.

Ute Schalz-Laurenze