Pippi hat den Blues hat

■ Holly Cole liebt es, Doris Day das Wort im Munde umzudrehen (Tom Waits auch). Ab morgen singt sie in Bremen, heute spricht sie in der „taz“

Man hätte es sich ja schon denken können, wenn man gesehen hat, wie Holly Cole, die große Entdeckung des diesjährigen „Women in (E)motion“-Festivals, auf der Bühne des „Moments“ im Girlie-Look mit kecken Zöpfen und im kurzen, knallroten Rock auftrat: ihre Heldin war und ist immer noch Pippi Langstrumpf. Mit deren Frechheit, Witz und Eigensinn bearbeitet die kanadische Sängerin auch ihr Songmaterial. Und dabei scheint sie einen besonderen Ehrgeiz zu haben, Purzelbäume mit den Liedern zu schlagen und sie ganz anders zu interpretieren, als man sie kennt. „Ich suche in den Songs den Subtext, die versteckten Bedeutungen und Nuancen, und diese versuche ich dann so subtil wie möglich auszudrücken.“

Schönstes Beispiel für für Holly-Cole-Methode: Den harmlosen Evergreen „Que Sera Sera“ verwandelt sie in einen schrägen Song voller Zweideutigkeiten. „Bei Doris Day beschreibt dieses Lied das Gespräch einer Mutter mit ihrer Tochter, und beide entsprechen genau den Klischees der 50er Jahre: die Mutter ist die brave Hausfrau und die Tochter etwas verunsichert und wild. In meiner viel düsteren Version ist die Mutter vielleicht ein altgewordenenes Hippiemädchen, das Gras raucht und verunsichert ist und die Tochter ist die adrette Hausfrau.“ Auch Charlie Chaplins schmalziges „Smile“ dreht Holly Cole durch eine schwermütige, dissonante Grundstimmung völlig um: „Der Text ist ja zum Teil eine verkorkste Aufforderung dazu, alles mit einem Lächeln zu ertragen und seine Gefühle zu unterdrücken. Aber ich versuche, beim Singen auch meine Zweifel am Song auszudrücken.“

Durch diese Fähigkeit, bis zur Essenz der einzelnen Songs vorzudringen, ist es Holly Cole auch gelungen, Kompositionen von Tom Waits so umzuformen, daß man dessen scheinbar übermächtige Persönlichkeit und seine Macho-Romantik schon nach wenigen Takten völlig vergißt. „Ich will nicht als weibliche Version von Tom Waits gelten – aber es reizte mich, die Songs auf den Kern zu reduzieren und sie so im Grunde von Tom Waits zu befreien. Neben den vielen offensichtlichen Unterschieden zwischen uns verbindet Waits und mich auch vieles – so die Liebe zur akustischen Musik, zum Drama und zum Minimalismus.“

Auch ein bestimmter deutscher Einfluß verbindet Waits und Cole: „Wir haben beide viel von Kurt Weill und Bert Brecht gelernt. Einige Stücke von Tom Waits haben die gleiche, theatralisch finstere Stimmung, und ich hab vor einigen Jahren ein ganzes Programm mit Weill-Songs vorgeführt und es mit dem Wortspiel „A Weill Evening with Hole Cole“ angekündigt. („vile“ bedeutet so viel wie „abscheulich“).

Der Grund dafür, daß Holly Cole bei ihren Konzerten das Publikum so fesseln kann, daß selbst hartgesottene Konzertgänger feuchte Augen bekommen, liegt für sie darin, daß sie „nichts so gerne macht, wie etwas vorzutragen. Seit meiner Geburt bin ich „performer“, und beim Singen kann ich das Theater und die Musik ideal miteinander verbinden. Die Lieder geben mit die Möglichkeit, etwas in mir selbst zu berühren und auszudrücken, was ich sonst nicht gefunden hätte.“

Holly Cole stammt aus einer Familie von Musikern, und nachdem sie kurz als Zehnjährige auf einer Farm Lamas züchten wollte („Pippi hätte das geliebt“) war es selbstverständlich, daß auch sie Musik machen würde. Der Jazz bot ihr dabei die Möglichkeit zur Rebellion („Jazz ist wie klassische Musik für alle, die nicht brav sein wollen“), und nachdem sie Betty Carter gehört hatte, legte sie das Saxophon weg und begann zu singen.

Holly Cole selber nennt die Musik ihrer Band „einen Hybriden aus populären Stilen, eine eigentümliche Mischung aus Country, Jazz, Soul und Blues.“ Ihr ganz eigener, minimalistischer Stil, dessen Basis auch bei den aufwendigeren Arrangements der letzten Platten immer noch das Trio Stimme, Piano und Baß ist, läßt sich auf rein ökonomische Gründe zurückführen: „Ich hatte lange Zeit einfach kein Geld für mehr Musiker. Aber Not macht erfinderisch und wir drei haben mit allen Tricks versucht, neue Töne zu finden und so nach mehr zu klingen.“ Inzwischen geht Holly Cole mit vier Musikern auf Tournee, aber auch diese spielen sparsam, mit viel Raum für die Stille und zugleich so originell und souverän, daß man von jedem Song wieder neu überrascht wird.

Wilfried Hippen

Holly Cole spielt vom 8. bis 10.5. im Moments, am 11.5. im Kito – jeweils um 20 Uhr