Wer hat von meinem Tellerchen gegessen?

■ Studenten essen Abgeordneten die Suppe weg und besetzen deren Kantine

Die Uni-Mensen blieben gestern auf mindestens 70 Essensportionen sitzen. Denn so viele Studenten zogen es vor, ihr Mittagessen in der Kantine des Abgeordnetenhauses zu sich zu nehmen. Bevor sie das Essen jedoch so richtig verdauen konnten, mußten sie den Löffel abgeben. Die Verwaltung des Hauses witterte eine „bedrohliche Situation“. Alle, die wie Studenten aussahen, wurden nicht mehr eingelassen. Ein Angestellter des gegenüberliegenden Gropiusbaus fluchte: „Ohne Unterschied darf hier keiner rein?“

Schließlich rückte die Polizei mit zwei Mannschaftswagen an, zwanzig Polizisten sorgten für die richtige Mittagsruhe. Die vor dem Abgeordnetenhaus versammelten Studenten wurden mit dem Hinweis auf die Bannmeile aufgefordert, nicht zu demonstrieren. Unter dem Gelächter der Studenten errichteten die Beamten in aller Eile eine Absperrung. Jenen, die in der Kantine saßen, wurde mit einer Klage wegen Hausfriedensbruchs gedroht. Schließlich zogen die „Störer“ friedlich ab und machten den wartenden Abgeordneten Platz. Immerhin wurden sie auf ihrem Weg nach draußen von Abgeordneten der PDS und von Bündnis 90/Die Grünen zu deren heutiger Fraktionssitzung eingeladen. Auch Hans-Peter Seitz, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, und Eberhard Engler, Abgeordneter der CDU, signalisierten Gesprächsbereitschaft „zu irgendeinem späteren Zeitpunkt“.

Nicht nur im Abgeordnetenhaus sorgten die Studierenden für Aufmerksamkeit. Überall in der Stadt wurde die von allen Universitäten veranstaltete Aktionswoche fortgesetzt – mit Vorlesungen und Seminaren an öffentlichen Plätzen. So wurden Seminare des ostasiatischen Seminars am Wittenbergplatz abgehalten und Flugblätter mit chinesischen und japanischen Schriftzeichen signiert. Vor dem Schöneberger Rathaus konnte man sich bei den Amerikanisten zum Thema „Rap“ bilden. Professor Klaus Döring vom Fachbereich 1 der TU war mit seinen Studenten im U-Bahnschacht Bismarckstraße in Wilmersdorf zu finden und dozierte zum Thema „Bildung, Lernen, Zukunft“. Pünktlich um 13.15 Uhr blockierten Studierende der TU, wie schon seit einer Woche täglich, den Ernst-Reuter- Platz.

Die Proteste gehen auch heute weiter. So planen beispielsweise die Islam- und Religionswissenschaftler, ihre Veranstaltungen auf dem Wittenbergplatz abzuhalten. Am Institut für Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft wird eine Film- und Vortragsreihe fortgesetzt. Die Sonderschulpädagogen der Humboldt-Universität spielen heute von 14 bis 18 Uhr vor dem Kaufhof am Alex Schuhputzer. Der Erlös soll an den „armen Senat“ gehen. Die Architekten der TU wollen morgen um 11 Uhr im Foyer des Senats ein Sektfrühstück mit Streichquartett und Performance veranstalten. Stephanie von Oppen