Roboter als letzte Begleiter

Das Krematorium Wedding wurde zum modernsten unterirdischen Sarglager in Europa umgebaut. Leichenverbrennung per Knopfdruck und Computer  ■ Von Thekla Dannenberg

Das Krematorium Wedding ist ein anmutiges Gebäude. Es wurde um die Jahrhundertwende erbaut. Rote Dachziegel krönen die Dächer der Türme und Vorbauten. Ein kleiner Friedhof schützt vor dem Lärm und der Hektik der nahe liegenden Müllerstraße, sichert Ruhe und Beschaulichkeit. Ein schöner Ort für eine Beisetzung – doch für die modernen Zeiten nicht mehr angemessen. Die Logistik stimmte nicht. Die Kapazitäten reichten nicht.

Das hat sich jetzt geändert. Weil durch die enge Bebauung um das alte Krematorium herum ein Anbau nicht möglich war und der Gebäudekomplex denkmalgeschützt ist, bedurfte es modernster Technik und professioneller Logistik. Nach drei Monaten Probezeit hat sich das System bewährt, und der Weddinger Baustadtrat Bernd Schimmler (SPD) konnte gestern verkünden, daß sein Bezirk nunmehr „das modernste unterirdische Sarglager Europas“ unterhält.

Das gesamte Krematorium wird von einer computergesteuerten Roboteranlage betrieben. „Moderne technologische Kultur spiegelt sich eben auch in der Sterbekultur wider“, erläuterte gestern beim Presserundgang der Architekt Karl-Heinz Fricker sein Konzept. Menschen müssen nur noch die Särge in das Krematorium einliefern und die persönlichen Angaben in das Rechnersystem eingeben, dann läuft es automatisch. In der Aufnahmehalle nimmt ein Greifarm den Sarg auf und plaziert ihn auf ein Tableau, das über ein Rollenband durch mehrere Räume hindurch in eine der beiden Lagerhallen befördert wird: entweder zu den „Einzelstellplätzen“ oder den „Kompaktstellplätzen“.

Dort können heute mehr als 800 Särge aufbewahrt werden. Vor dem Umbau waren es lediglich 200. Mit Satellitentechnik bestückte „Regalbedienungsgeräte“ sortieren die Toten in die stählernen Regale. Kommt der Gerichtsmediziner zur obligatorischen Leichenschau, bringen ihm die Automatik-Laufbänder die Leichname. Per Knopfdruck gibt er die Verstorbenen für die Einäscherung frei. Der Computer weiß dann, was er zu tun hat. Verwechslungen sind nicht möglich, dafür sorgt ein dreifaches Sicherungssystem.

Für die Angehörigen aber wird die angenehme Form gewahrt. Der Zutritt zu den unterirdischen Anlagen ist ihnen verwehrt. Sobald Unbefugte den Tunnel-Komplex betreten, schalten sich alle Anlagen ab. Wollen Besucher von einem Verstorbenen Abschied nehmen, werden die Särge von einem führerlosen Transportfahrzeug herangefahren. Die Sicht auf das Sargmobil verdecken Jalousien. Die Angehörigen können durch eine Glasscheibe einen Blick auf den Leichnam werfen.

Das ist die große Errungenschaft des modernsten Krematoriums des Kontinents: Es kommt mit nur 25 Beschäftigten aus, und das bei bis zu 72 Toten pro Tag. Auch bei der Beförderung der Särge zu den Trauerfeiern oder Verbrennungsöfen wird auf teures Personal verzichtet. Immerhin muß sich so kein Angestellter den kalten Temperaturen in den Aufbewahrungsräumen aussetzen, die bei 5 Grad über Null liegen.

Pietätlos sei das nicht, betonte gestern Baustadtrat Schimmler. Im Gegenteil. Bei manchem Bestatter würde die Zwischenlagerung ganz anders gehandhabt werden. Bisher seien die beiden Berliner Krematorien in Wedding und in Ruhleben heillos überlastet gewesen. Deshalb begrüßt Schimmler den Einzug der Technik, die endlose Wartezeiten verkürze und sicherstelle, daß die Särge rechtzeitig zur Trauerfeier bereit sind.

Der Baustadtrat hob hervor, daß die Angehörigen sich bisher nicht von der Roboteranlage abschrecken ließen, obwohl nach einem Bericht in der Bild-Zeitung vor einigen Wochen bei ihm die Telefone nicht mehr stillgestanden hätten. „Aber das sind nur Journalisten gewesen, offensichtlich auf der Suche nach einer reißerischen Geschichte.“ Vor allem natürlich vom privaten Fernsehen, ergänzt der Sozialdemokrat.