: Der Künstler als Dinosaurier
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In seiner Werkschau in Leipzig zeigen die lodernden Leinwände Hartwig Ebersbachs, daß im Biotop des sozialistischen Realismus' durchaus ein wilder Mann wachsen konnte. Aber das autonome Kunstwerk wurde kein Thema
Die Werkschau Hartwig Ebersbachs in Leipzig kann sehr gut ohne Rechtfertigungen auskommen. Unnötigerweise betonte der Direktor des Museums der bildenden Künste Leipzig, Herwig Guratzsch, immer wieder, daß die Schau nicht von einem Akt des Lokalpatriotismus getragen werde, sondern davon, daß der Leipziger Maler „schon immer über den Tellerrand der DDR geragt“ habe.
Vor allem lodernde Leinwände aus den späten Siebzigern und frühen Achtzigern zeigen, daß das Biotop des sozialistischen Realismus' einen wilden Mann hervorgebracht hatte. Die Einordnung in einen modernen europäischen Kontext der Malerei fällt hier ausgesprochen leicht, nicht nur der wütende Pinselschlag verbindet ihn mit einem Berserker wie Lovis Corinth. Zu der leicht narzißtischen Spannung zwischen Genie und Wahnsinn trat bei Ebersbach noch eine zweite: die Gratwanderung zwischen dem Streben nach öffentlicher Anerkennung und innerer Verweigerung. Diese Konflikte gipfelten in den gewaltsamen Lösung durch Krankheit und Herzinfarkt. Bis zu jenem Einschnitt hatte der Maler und Aktionist immer noch in dem naiven Glauben gewütet, seine Kunst könne Einfluß auf das autokratische System nehmen. Formale und emotionale Bezüge seiner Werke zu den Neuen Wilden oder „Cobra“ dürfen nicht darüber täuschen, daß selbst in der nicht indoktrinierten DDR-Kunst das autonome Kunstwerk kein Thema war.
Mit dem „Kammerspiel II – missa nigra“ (Komponist Friedrich Schenker) erregte Ebersbach auch als Akteur und Inszenator internationales Aufsehen. Das experimentelle Stück kritisierte die Unmenschlichkeit der Neutronenbombe, deren lebensvernichtende Strahlung Sachwerte verschont. Reisen mit dem Ensemble führten ab 1980 zu Festivals nach Italien und Frankreich. Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, daß Peter Ludwig seit 1979 Arbeiten ankaufte, brachte die spätere resignierte Abkehr von der offiziellen Bühne keinen völligen Sturz in die Bedeutungslosigkeit. Doch zunächst standen noch Zyklen wie „Widmung an Chile“ (1974), „Antiimperialistische Solidarität“ (1977) oder „Portrait Thälmann“ (1975) für eine künstlerische Bewegung hin zur Macht, stets gespeist von reformerischer Hoffnung. An Ebersbachs nonkonformer Mal- und Lebensweise mußten diese Hoffnungen damals tragisch scheitern.
Schließlich konzentrierte er all seine Energien auf die eigene Person, ein Alter ego die Figur des „Kaspar“. Der schillernde Realist der Leipziger Schule, Werner Tübke, kann auf ein ähnliches Phänomen verweisen. In seinem Monumentalwerk erscheint bisweilen ein Narr als apologetische Lichtgestalt; als zweites Selbst eines Künstlers, der der Macht zu nahe stand.
Was bei Tübke artifizielles Spielzeug ist, gerät bei Ebersbach zu einem Lebenselixier. Anders als der Narr, der sich bei aller Freizügigkeit den höfischen Normen beugen muß, erfreut sich Kaspar völliger Ungezwungenheit. Wo er auftritt, hat er jede Rücksicht fahren lassen; gegen die Umwelt und gegen sich selbst sowieso. Kaspar durchgeistert die Retrospektive des 1940 in Zwickau geborenen Malers in den verschiedensten Mutationen: als zerrissenes Wesen, als Spötter und Selbstironiker. Eine altarähnliche Gemäldeinstallation zeigt Kaspar blasphemisch als „Ecce Homo“ („Großes Kasparunser II“, 1987). Die Anmaßungen des Alter egos führen dabei zu erstaunlich hybriden Exzessen; mitunter scheint Ebersbach in der dritten Person selbst durch die Räume zu leiten. Ein fast anachronistischer Künstler-Dinosaurier hat sich hingebreitet in dieser Ausstellung und nimmt Risiken und Verletzbarkeiten in Kauf. Diese Offenheit hat den Vorteil, daß an einem lebenden Exemplar Künstler seziererisch dessen Entwicklung demonstriert wird. Dadurch wird allerdings schon über formales Klaffen der Schleier der Homogenität gelegt. Die fast schon chronologische Ordnung in Werkgruppen unter Themenkreise wie „Lümmel. Realist. Gesellschaftsspieler. Anarchist“ (II., zirka 1969–1989) oder „Homo sanguinicusä (IV., 1978–1995) bestimmt die Schau.
Mit der programmatischen Installation der einzelnen Räume wurde durch Künstler und Kurator oft ein wenig über das Ziel hinaus geschossen. Weniger hätte oft gereicht, besonders bei der pathetischen Inszenierung von Thema VI., den „Selbst Träumen“. Heftige Traumbilder, mehrteilig zumeist, wurden in einen Raum mit leuchtend rotem Fußboden gepfercht. Die Fülle führt zu Auslöschungen. Anderswo jedoch ist die Inszenierung überzeugend. Der traditionelle Bildraum hielt den existentiellen Angriffen des Malers nicht stand und zerbrach. Konsequent zu ihrer gestischen Energie haben hier viele Werke den braven Platz an der Wand verlassen. Jetzt liegen sie quer, im Weg. Susanne Altmann
Die Ausstellung im Museum der bildenden Künste Leipzig ist bis zum 27. Mai zu sehen. Es ist ein umfangreicher Katalog erschienen: „Hartwig Ebersbach. Gemälde. Installation. Plastiken“. Mit Beiträgen von Peter Guth, Dieter Hoffmann und Hartwig Ebersbach. Gerd Hatje Kunst- Verlag, Stuttgart
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