Fliegender Händler mit gekauften Papieren

■ Enver Hanxci (25) aus Albanien lebt „halblegal“ in Italien und arrangiert sich

In seinem Kampfanzug, mit dunkler Sonnenbrille, könnte Enver Hanxci als Filmmacho durchgehen. Legt er jedoch seine „Arbeitskleidung“ ab und wischt sich das Braune vom Gesicht, kommt ein Buchhaltertyp um die fünfundzwanzig zum Vorschein, dessen Augen stets unruhig nach allen Seiten schauen. Enver ist Albaner, „halblegal“, wie er seinen Status nennt. Er hat seine Aufenthaltsgenehmigung von einem klandestinen „Arbeitsvermittler“ im Süden Italiens erhalten. Von daher ist er sich nicht sicher, ob das Dokument nicht doch gefälscht ist.

Vorsichtshalber tarnt sich Enver Hanxci deshalb als „Marocchino“, als einer der vielen fliegenden Händler aus dem Maghreb, bei denen die Polizei weniger scharf kontrolliert als bei Zuwanderern vom Balkan. Zur Zeit verkauft er auf den Marktplätzen in Portici und Ercolano vor den Toren Neapels Sonnenbrillen.

Hereingekommen ins „Land meiner Träume“, wie er Italien aus dem Fernsehen kannte, war Enver Hanxci 1991, noch vor der ersten großen Flüchtlingswelle: „Doch kaum war ich da unten in Apulien aus dem Schlauchboot an Land gewatet, nahmen mich Polizisten in Empfang“, erinnert er sich. Die allerdings stellten sich als nicht ganz so treue Staatsdiener heraus: Enver Hanxcis Erspartes – nach Abzug der umgerechnet 500 Mark für die Überfahrt auf einem Fischerboot noch gute 400 Mark – reichte zu einer baldigen „Flucht“ während seiner Überstellung an eine andere Dienststelle.

Enver trampte zu der Kontaktstelle bei Tarent, die ihm von den albanischen Schleusern genannt worden war. Dort wurde er zunächst an einen Steinbruch „vermietet“: „12 Stunden täglich im Staub der Steinmühlen, alles nur Ausländer, die Italiener fein im geschützten Bunker, oben auf dem Bruch Leute mit Maschinenpistolen, wie in alten Sklavenfilmen.“

Wie viele seiner Schicksalsgenossen brach er trotz der Bewachung der Unterkünfte aus, schlug sich bis nach Neapel durch, arbeitete einige Zeit in einer Gang von Zigarettenschmugglern, wurde gefaßt, kam in Abschiebehaft und dann doch wieder frei: „Einer der Bosse hat wohl ein gutes Wort für mich eingelegt.“ Doch der Boß kam dann selbst in den Knast – aus war es mit der Protektion.

Enver Hanxci beschloß, sich alleine und mit „ehrlicher Arbeit“ durchzuschlagen. Die Amnestie für illegale Zuwanderer nahm er allerdings vorsichtshalber nicht wahr: „Ein Dutzend meiner Landsleute, die sich gemeldet hatten und dachten, sie bekämen dann eine Aufenthaltserlaubnis, wurde innerhalb von zwei Tagen abgeschoben.“ So kaufte er sich seine Papiere über einen Mittelsmann, der „bei seiner gesamten Familie einschließlich der Oma schwor, sie seien echt“.

Enver Hanxci verdingte sich bei Bauern, machte Stallarbeit, zog sich eine „feine Tuberkulose zu“, die seiner Ansicht nach Schwarzafrikaner eingeschleppt hatten. Doch anders als viele Leidensgenossen hatte er den Mut, zum Arzt zu gehen und eine Kur durchzuziehen. „Der hat mich nicht angezeigt, sondern mir am Ende gar noch eine Arbeit beschafft“, sagt Hanxci, „in einem Fahrradreparaturgeschäft bei Latina, südlich von Rom.“

Dort wurde wenig später allerdings ein Albaner erstochen, angeblich von einem Landsmann. Enver zog lieber wieder Leine, ging zurück nach Neapel, „wo die Kriminalität zwar viel größer ist und man sich mit den Bossen arrangieren muß. Aber wenn man das tut, hat man sein Auskommen.“ Seit einem Jahr lebt er nun als fliegender Händler, mal „in Uhren, mal in Halsketten oder Badetüchern“. Derzeit eben „in Sonnenbrillen. Der Sommer beginnt ja.“ Werner Raith, Rom