Der Proporz muß stimmen

■ Der Franzose Guillaume Normand (25), Jurist und vielsprachig, braucht viel Geduld auf dem "europäischen Arbeitsmarkt" in Brüssel; und der ist eng geworden

Brüssel ist begehrt. Jährlich machen tausend junge Leute ein Praktikum bei der EU-Kommission. Viele wollen später hier arbeiten und überschwemmen die Lobbybüros mit ihren Lebensläufen. Auch Guillaume Normand, ein 25jähriger Franzose, versucht in Brüssel Fuß zu fassen. „Das ist die einzige Stadt in Europa, die keine Metropole ist und dennoch so international wie Paris, London oder Berlin.“ Schon als Kind wollte er im Ausland arbeiten.

In zwei Tagen ist Vorstellungsgespräch. Der junge Jurist bewirbt sich als Justitiar bei der Gemeinschaft europäischer Eisenbahnen in Brüssel. Guillaumes Chancen stehen nicht schlecht, denn eigentlich sitzt er schon am zugehörigen Schreibtisch – ausgestattet allerdings nur mit einem dreimonatigen Zeitvertrag für die Dauer des Einstellungsverfahren.

Bisher läuft alles glatt, sein Chef ist mit ihm zufrieden. Doch bei europäischen Institutionen muß auch der Proporz stimmen. Anfang des Jahres hatte Guillaume schon einmal einen Zeitvertrag bekommen, ebenfalls bis zur endgültigen Besetzung der Stelle. Damals waren die Grünen im Europäischen Parlament sein Arbeitgeber und er ihr rechtspolitischer Berater. Die Stelle bekam dann aber nicht Guillaume, sondern ein finnischer Rechtsphilosoph. „Das war schon in Ordnung“, sagt Guillaume betont gleichgültig. „Schließlich gab es bis dahin in der Fraktion noch keinen skandinavischen Mitarbeiter.“ Enttäuscht war er aber trotzdem. Jetzt baut er vor und schreibt schon wieder Bewerbungen.

In Brüssel braucht man Glück oder Beziehungen. Guillaume hat aber kein piston, wie berufsförderliche Kontakte in Brüssel heißen. Um so aktiver muß er sein, um wenigstens hin und wieder Glück zu haben. Der Arbeitsmarkt ist auch in Brüssel enger geworden. Genauer gesagt, gibt es hier zwei Arbeitsmärkte, den belgischen und den europäischen. Für belgische Firmen ist Guillaume nicht qualifiziert. Dort müßte er auch flämisch, also niederländisch, sprechen. Guillaume aber spricht „nur“ Französisch, Deutsch, Englisch und Italienisch.

Also konzentriert er sich auf den „europäischen Arbeitsmarkt“. Denn auch sonst hat sich Guillaume eine recht europataugliche Ausbildung zusammengeschneidert: ein Jurastudium mit Auslandsaufenthalt, ein Praktikum beim Europäischen Parlament und ein Aufbaustudium im europäischen Recht. Außerdem hat Guillaume seit seinem zwölften Lebensjahr eine enge Beziehung zu Deutschland. Ferienlager, Studium, Praktika und Armeezeit – immer wieder zog es ihn ins Nachbarland. Eigentlich ein europäischer Musterlebenslauf.

„Vor zehn Jahren hätte ich in Brüssel sofort eine feste Stelle gefunden“, ist sich Guillaume sicher. Doch Guillaume neigt nicht zum Jammern. „Man muß optimistisch bleiben, sonst hat man schon verloren.“ Christian Rath, Brüssel