Streben nach höchster Leistung

Malaysias Staatschef Mahathir will sein Land in eine moderne, islamische Industrienation umwandeln  ■ Aus Kuala Lumpur Jutta Lietsch

Hoch in den strahlend blauen Himmel ragen die Wohntürme, weit verstreut zwischen sanft gewellten Grünanlagen. Da ziehen Golfspieler ihre Runden, komfortable Limousinen gleiten über die Zufahrtsstraßen. Am Horizont erscheinen Stolz und Wahrzeichen des modernen Malaysia: der 421 Meter hohe Fernsehturm und der Zwillingswolkenkratzer des malaysischen Öl-Unternehmens Petronas, mit 451 Metern höchstes Bauwerk der Welt.

So malen malaysische Immobilienfirmen in ganzseitigen Zeitungsanzeigen ihren Kunden die Zukunft aus. Und die hat bereits begonnen, wie der Anflug auf Kuala Lumpur zeigt: Riesige, von Bulldozern aufgebrochene Flächen tauchen zwischen dem Grün der Ölpalmen- und Obstplantagen auf. In den Außenbezirken der Hauptstadt wachsen neben neuen Industrie- und Handelszentren moderne Wohnanlagen, Reihenhaus- und Bungalowviertel heran.

Für rund 18 Milliarden Mark entstehen ein neuer Großflughafen und ein modernes Verwaltungszentrum, in das die Regierung bereits zur Jahrhundertwende umziehen will. Als der malaysische Premierminister Mahathir Mohamad Anfang des Jahres wegen der enormen Kosten für diese Vorhaben kritisiert wurde, reagierte er kühl. Ein Verzicht auf ehrgeizige Infrastrukturprojekte sei nicht nötig, meinte er, man solle eben die Exporte des Landes ankurbeln. Für Nörgler und Faulpelze hat Dr. M, wie der studierte Mediziner häufig genannt wird, weder Zeit noch Geduld. Für kühne Gedanken dagegen ist er sehr zu haben. Und so heißt das Programm seiner Regierung seit Anfang der neunziger Jahre auch „Vision 2020“: Bis zum Jahr 2020 soll Malaysia in die Reihe der ökonomisch mächtigen Staaten vorgerückt sein.

Die Vision von einer gerechten Industrienation

Dem 72jährigen, der seit 1981 regiert, schwebt eine ideale Gesellschaft vor. Das Land werde sich zu einer modernen Industrienation auf der Basis eines freien Kapitalismus entwickeln, in der der Wohlstand gerecht verteilt ist und „deren Bürger gekräftigt sind durch religiöse und spirituelle Werte und durchdrungen von den höchsten ethischen Maßstäben“, heißt es in dem Programm. Dazu muß sich die „malaysische Gesellschaft durch das Streben nach höchster Leistung auszeichnen“.

Der Regierungschef arbeitet offensichtlich unermüdlich, um die MalaysierInnen zu diesem Ziel zu treiben. Stets ist er auf den ersten Zeitungsseiten, in den ersten Nachrichtenfilmen zu sehen: in der Moschee, im Kindergarten patriotische Lieder singend, oder bei der Grundsteinlegung für eine neue Stadt auf einer künstlich aufgeschütteten Insel.

Täglich beschwört Mahathir auch die „Harmonie und Zusammenarbeit der Rassen“ als Voraussetzung für eine erfolgreiche Regierungspolitik. „Ohne das enge Verhältnis und Verständnis innerhalb der Bevölkerung hätten die Projekte die erwünschten Ziele nicht erreichen können“, zitiert die „New Straits Times“ den Regierungschef.

Das Leben auf den Straßen Kuala Lumpurs, wo ganz selbstverständlich junge Chinesinnen in T-Shirt und Shorts neben kopftuchbedeckten Malayinnen und Sari-tragenden Inderinnen im Bus sitzen, ist bunt und vielfältig – doch nicht konfliktfrei, wie die Presse es glauben machen will. Jede Nachricht, jeder Film, jedes Buch, die nach Ansicht der Regierung dazu angetan sein könnten, Zwietracht zwischen den verschiedenen Bevölkerungsteilen zu wecken, wird unterdrückt. Malaysische Medien durften vor zwei Jahren nicht einmal über antichinesische Ausschreitungen in der indonesischen Stadt Medan berichten. Tabu ist zum Beispiel auch die Kritik an den Vorrechten, die MalayInnen (rund 60 Prozent der Bevölkerung) bei der Vergabe von Jobs im öffentlichen Dienst, Ausbildungsplätzen, Bankkrediten, subventionierten Wohnungen oder Anteilscheinen aus privatisierten Staatsbetrieben genießen.

Die Kluft zwischen den Bevölkerungsgruppen

Diese Bevorzugung der „Bumiputera“ (Söhne der Erde, im Gegensatz zu Einwanderern) entstand nach malayischen Pogromen gegen Chinesen in den sechziger Jahren. Die Chinesen stellen rund dreißig Prozent der Bevölkerung und waren wegen ihres wirtschaftlichen Erfolges verhaßt.

Trotz aller Aufrufe zur nationalen Einheit trägt Mahathir dazu bei, die Kluft zwischen der überwiegend muslimischen malayischen Mehrheit und den anderen Gruppen (Chinesen, Indern, christlichen nationalen Minderheiten) zu vertiefen: Für ihn ist das wahre Malaysia ein moderner muslimischer Staat, welcher der Welt zeigen kann, daß der Islam nicht rückwärtsgewandt ist. Mit Stolz verweisen Intellektuelle auf die malaysische „Islamische Bank“, die dem Korangebot folgt und keine Zinsen nimmt oder zahlt.

Dennoch sieht Mahathir Gefahren drohen: Der um seine wirtschaftliche Vormachtstellung fürchtende Westen tue alles, um die Erstarkung der islamischen Welt unmöglich zu machen, argumentiert er. Diese Ansicht teilen auch viele Malaysier, die sonst eher kritisch gegenüber Mahathirs autoritärer Politik eingestellt sind. Während einer TV-Diskussionsrunde zwischen drei Islamexperten in der vergangenen Woche wurde ans Fernsehpublikum die Frage gestellt: „Wird es im kommenden Jahrhundert zum Konflikt zwischen dem Westen und dem Islam kommen?“ 177 Anrufer bejahten dies, 44 hielten es für unwahrscheinlich. Risiken für seine Vision sieht der ehrgeizige Mahathir dennoch auch im eigenen Land: Wenn islamistische Kräfte stärker werden, könnten sie einer zukunftsgewandten Wirtschaftpolitik im Wege stehen.