Die De-luxe-Version einer Entführung

In einem Interview schildert der Millionenerbe Reemtsma erstmals diverse Details seiner Entführung  ■ Von Marco Carini

Hamburg (taz) – Die Zeit der Spekulationen ist vorbei. Bis Freitag vorvergangener Woche befand sich der Hamburger Millionenerbe Jan Philipp Reemtsma in der Hand noch unbekannter Kidnapper. Jetzt schilderten er und seine Frau in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erstmals die 33tägige Entführung. Beide lobten dabei die Arbeit der Polizei und gaben zahlreiche Details über den Verlauf der Entführung preis.

Am Abend des 25. März, so der 43jährige Reemtsma, sei er kurz vor 20.30 Uhr, einige Meter von seiner Haustür entfernt, von zwei maskierten Männern überwältigt worden. Nachdem er vergeblich versucht habe, einem der Täter einen „Daumen in seine Augen zu drücken“, sei er von einem anderen Mann niedergeschlagen worden. Die Täter, die ihn gefesselt zu einem bereitstehenden „Kombi oder Lieferwagen“ geschleppt hätten, beschreibt der entführte Mulimillionär und Mäzen als „professionell“ und „wenigstens nicht sadistisch“. Reemtsma wörtlich: „Was diese ganze Veranstaltung auszeichnete, war ein hohes Selbstbewußtsein dieser Leute, also eben nicht das, was man erwarten kann, wenn jemand nervös ist und seine Nervosität gegenüber dem Opfer in Aggressivität transformiert.“ Er hätte sogar Essenswünsche äußern können und sei viermal mit Literatur versorgt worden. Reemtsma nimmt an, das mindestens fünf Personen an der Entführung beteiligt waren.

Reemtsmas Ehefrau Ann Kathrin Scheerer widersprach in dem Interview entschieden allen Darstellungen, es sei im Verlauf der Entführung zu Unstimmigkeiten zwischen ihr und der Polizei gekommen. Schon in der Entführungsnacht hätte sie trotz der Drohung der Gangster, ihren Mann umzubringen, wenn die Polizei eingeschaltet werde, entschieden: „Das geht nicht ohne die Polizei.“ Zwar habe es zwischen ihr und den Ermittlern „Konflikte gegeben über die beste Art des Vorgehens“, doch seien diese stets zu ihrer Zufriedenheit beigelegt worden. Scheerer: „Die Polizei hat immer gesagt, daß sie manchmal meine Entscheidungen nicht billigen, sie aber immer respektieren werde.“

Das aber ist nach Polizeiinformationen nicht immer geschehen. Während Scheerer auch heute noch davon ausgeht, daß auf ihren Wunsch hin das Lösegeld beim zweiten gescheiterten Übergabeversuch von der Polizei nicht chemisch präpariert wurde, behauptet die Hamburger Sonderkommission das genaue Gegenteil.

Ein Lob auf die Qualität der Polizeiarbeit

Jan Philipp Reemtsma, der in einem von ihm während der Entführung geschriebenen Brief noch die Polizei für das Scheitern der ersten beiden Übergaben mitverantwortlich gemacht und darum gebeten hatte, die Ermittler in Zukunft vollständig rauszuhalten, lobte in dem Interview vor allem die psychologische „Betreuung meiner Frau und meines Sohnes“ durch die Ermittler. Er hätte nicht gewußt, „daß es diese Seite der Polizeiarbeit gibt, in dieser Qualität“.

Auch in der letzten Entführungsphase sei die Polizei durch den eingeschalteten privaten Sicherheitsdienst über alle Schritte der Geldboten Christian Arndt und Lars Clausen informiert worden – allerdings ohne deren Wissen. Nach Informationen der taz wurden die Briefe der Entführer an die beiden Reemtsma-Vertrauten von der Polizei stets frühzeitig abgefangen, ausgewertet und anschließend wieder unbemerkt verschlossen und zugestellt.

Ein Zeitungsbericht, nachdem der von Arndt und Clausen geleaste Opel, mit dem beide die Fahrt zur erfolgreichen Lösegeldübergabe antraten, von der Polizei unbemerkt gegen ein mit Abhörwanzen bestücktes Modell ausgetauscht worden sei, wurde von Hamburgs Polizeisprecher inzwischen energisch dementiert. Ansonsten tappt die Polizei trotz mehr als 2.000 Hinweisen aus der Bevölkerung noch im dunkeln: Eine heiße Spur gäbe es nicht.

Den vorläufig letzten Kontakt mit einem der Kidnapper, der Reemtsma vor elf Tagen in einem Waldstück bei Hamburg ausgesetzt hatte, schildert der Millionenerbe so: „Ziemlich zum Schluß habe ich ihm gesagt: Wenn ihm irgendwann das Geld ausgehe, würde ich ihn persönlich bitten, so etwas nie wieder zu tun. Er hat ein wenig gelacht und gesagt: Vergessen sie nicht, sie hatten die De-luxe-Version.“ Eine Einschätzung, die Reemtsma, der sich von seinen Kidnappern nie unerträglich schikaniert fühlte, offenbar teilt: „Ich hatte schon die Bemerkung auf der Zunge, ich würde das gerne bei Gericht strafmildernd hervorheben. Dann habe ich aber lieber gesagt: Geben Sie mir ihre Visitenkarte. Für den Fall, daß jemand gekidnappt werden will, werde ich sie wärmstens empfehlen.“