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Verdrängte Verdrängungskünstler

■ Nicht lebenswert: Die impressionistische Bilderfolge Leni erzählt von einem Opfer der Nazis

Ein Kind wird geboren, die Eltern bleiben anonym. Doch der Dorfpfarrer ist bereit, Leni zu taufen, so daß sie mit Gottes Segen bei den Pflegeeltern aufwachsen kann. In einer bäuerlichen Idylle nahe München erhellt Leni wie eine kleine Sonne den Alltag des Bauernehepaars. Doch der eifrige Bürgermeister läßt es sich nicht nehmen, ihre „Abstammung“ zu erforschen. „Nicht arisch“ lautet sein Befund; „nicht lebenswert“ die unausgesprochene Folgerung. Mit fünf Jahren kommt Leni in ein Heim, und was dann passiert, ist grauenerregend.

Wollen Künstler vom Naziterror berichten, müssen sie leider keine Geschichten erfinden. Auch der Drehbuchautor und Regisseur Leo Hiemer hat mit Leni ein reales, viel zu kurzes Leben verfilmt. Auf seinen Stoff kam er durch einen Zeitungsartikel. Und da das Schicksal des Mädchens ausgerechnet in Stiefenhofen – dem Heimatort seiner Mutter – besiegelt worden war, wollte er ihm nachspüren. Die Herrschaften, die vor 50 Jahren Lenis Spielkameraden gewesen waren, machten es Hiemer nicht leicht. Nur zögerlich erhielt er Informationen – Vergessen und Verdrängung waren stark, genauso wie der Widerstand der Dorfautoritäten.

Dennoch hat der Filmer es geschafft, den in Auschwitz „abgehackten“ Lebenslauf in großen Bildern und mit großartigen Schauspielern zu rekonstruieren. Besonders Hannes Thanheisers Verkörperung des Pflegevaters Johann Aibele wirkt bezwingend. Da ist zunächst seine Wut über das „nichtsnutzige“, schlafraubende Balg; da sind später Vaterstolz und tiefe Zuneigung; da herrscht am Ende Verzweiflung über Verlust und eigenes Versagen – alles in dem Gesicht eines einfachen Bauern, der keine großen Gesten kennt.

Überhaupt kommt der Film ohne Überzeichnungen aus, raubt einem den Schlaf wie das schreiende Kind, weil er einfach zeigt, was gewesen sein mag. Konsequent verknüpft Hiemer dabei die Episoden so, daß sie jeweils vorhersehbar erscheinen – auch das absurde Massaker war ja absurderweise real vorhersehbar.

Nachdem Leo Hiemer das Geld für sein aufrüttelndes Leni-Projekt mühsam zusammengetragen und die Verfilmung abgeschlossen hatte, zeigten sich die Bewohner des Dorfes Stiefenhofen doch noch interessiert. Im überfüllten Gemeindesaal lief die Premiere, die wohl so manchen Verdrängungskünstler verunsicherte.

Trotz seiner filmischen Qualitäten, dem sozialen Anliegen und trotz vieler internationaler Auszeichnungen hat sich bis heute kein Verleih für Leni interessiert. Also verleiht der Regisseur selbst, und das Abaton-Kino führt den Film nun vor. Nele-Marie Brüdgam

Do, 9. bis So, 19. Mai, jeweils 18 Uhr, Abaton

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