Die Mörder sind unter uns

■ Scherenschnitt oder Mord im Frisiersalon: Das Schmidt zeigt als nächste Hausproduktion einen Kiez-Krimi mit täglich anderem Ausgang

Sich harmlos gebend sitzen sie im Salon Wuttig auf der Reeperbahn: der Meister selber (Corny Littmann), die Gehilfin Elisa (Claudia Gáldy), Frau Schumann (Kerstin Mäkelburg), und winden sich unter den Fragen des Kommissars (Uli Pleßmann) und seines Assistenten (Martin Lingnau). Eben ist oben ein Mord geschehen, der eigentlich aus den 60er Jahren stammt, als Paul Pörtner sein Stück Scherenschnitt verfaßte. Es ist vielgespielt, auch – oder weil – hier alle Freiheiten möglich sind.

„Mich hat der Text nicht interessiert, weil ich ihn für hohe Literatur halte, sondern weil mich der improvisatorische Teil fasziniert. Ansonsten wird ja durch Improvisation ein Text entwickelt. Hier muß wirklich auf der Bühne improvisiert werden“, erzählt Regisseur Thomas Matschoß, der in Hamburg eher durch seine Arbeiten auf Kampnagel und seinen Jedermann bekannt ist. Gerade, daß das Stück sich im Lauf des Abends verselbständigt, hat den Theatermann gereizt, „weil ich die ganze Heiligkeit an vielen Theatern nicht mehr mag.“

Nur die erste Hälfte des Stücks ist im klassischen Sinn inszeniert. Dann macht der Kommissar die Zuschauer zu Entlarvern. „Wir machen hier kein Mitmachtheater“, verspricht der Regisseur. „Aber das Mitraten wird schon gefordert. Ich hoffe, daß bei der Rekonstruktion ein großes Chaos losbricht, und ich hoffe, daß wir es wieder in den Griff kriegen.“

Der Ermutigung des Autors Pörtner, der schon in den 60er Jahren empfahl, auch die geschriebenen Textpassagen den örtlichen Gegebenheiten und der Zeit anzupassen, sind die Frisöre gern gefolgt. Eine richtige Kiez-Geschichte sollte es werden. „Wir haben uns zusammengesetzt und Biographien für die Figuren entwickelt, Material, aus dem wir dann schöpfen konnten. Wenn zwei Figuren eine gemeinsame Vergangenheit haben, müssen solche Dinge geklärt sein, damit sie sich beim Improvisieren nicht gegenseitig überraschen.“

Ein anderer Aspekt, der Matschoß reizte, war das Kriminalistische: „Das Stück ist zwar etwas betulich, aber sehr, sehr gut gebaut – wie jeder es sein könnte, wie jeder sich verdächtig macht.“

Nicht nur mit der eigenen Ideen-Kraft spielen die Darsteller an diesem Abend, sondern auch mit der Unzahl klischierter Genre-Versätze, die den Regisseur seit dreißig Jahren bestürmen. „1966 haben meine Eltern einen Fernseher zu Hause aufgestellt, für die Fußballweltmeisterschaft. Und gleich danach wurde die Melodie vom Kommissar prägend, und Fritz Wepper und Erik Ode, und später Derrick und die Dialoge mit den Verdächtigen. Edgar Wallace hab ich auch geguckt. Wer in seinem Leben einige Krimis geguckt hat, der wird hier vieles wiedererkennen. Allein, wie alle sich immer sehr verdächtig verhalten“, schildert Thomas Matschoß grinsend, dem das Komödiantische am ersten festen Ensemble von Schmidt und Tivoli sehr gelegen kam.

Auch, wenn hier nicht gesungen wird: Die Erwartungshaltung des Publikums an das Haus will Matschoß nicht unterlaufen. Denn eigentlich paßt sie ihm selbst ganz gut. „Es gibt ja angeblich zwei Quellen für das Theater: den Gottesdienst und den Jahrmarkt. Ich mag den Jahrmarkt lieber“, sagt er.

Thomas Plaichinger

Voraufführungen bis 10. Mai, Premiere am 11. Mai, 20 Uhr im Schmidt