Die letzte Herausforderung

■ Boris Becker siegt gegen Alvarez und macht das Hamburger Tennis-Publikum glücklich / Erstmals Stimmung auf Centre Court Von Clemens Gerlach

Die Fans hatten sich alle Mühe gegeben. „Boris, zeig's Ihnen!“ hatte ein begeisterter Becker-Anhänger auf ein ausrangiertes Bettlaken gebannt. Andere beließen es zwecks Unterstützung und Sympathiebekundung bei der spartanischen Papp-Variante: Dreiteilig und in Neonfarben wurde „Bo-be-le“ gehuldigt. Auf einer Tapete ging es gar hemmungslos zu: „Boris, wir lieben dich.“

Schon vor dem ersten Ballwechsel war die Stimmung gestern am Rothenbaum ausgelassener als während der gesamten Veranstaltungstage zuvor – einschließlich des Frauen-Turniers. „Sie genießen halt jeden Augenblick, den ich auf dem Centre Court bin“, gab Boris Becker nach seinem Dreisatz-Sieg (6:2, 3:6 und 6:3) gegen Emilio Alvarez zu Protokoll – sein erster Erfolg in der Hansestadt seit zwei Jahren, in denen das erste Spiel für ihn gleichzeitig immer das letzte gewesen war.

Eine verständliche Erklärung, denn dieser Tage haben die Zuschauer wenig Anlaß, sich ausgiebig zu freuen. Außer dem 28jährigen – in Hamburg an Nummer eins gesetzt – ist im Teilnehmerfeld niemand zu finden, dem etwas ähnliches wie Star-Qualitäten zuzuschreiben sind: Charismafreie Spitzensportler dominieren die Szene. Allzu anspruchsvoll sollte man deshalb besser nicht sein, sonst droht arge Enttäuschung.

Da der Weltranglisten-Fünfte um das Dilemma wußte, lieferte er den 11.000 Zuschauerinnen und Zuschauern auf dem erstmals gut gefüllten Centre Court eine unterhaltsame Show – zwar nicht immer hochwertig, aber spannend. Nach verlorenem zweiten Satz hatte sich Becker im letzten Durchgang steigern müssen, weil „ich es mir selber schwer gemacht“ und „nur anderthalb Sätze gut gespielt habe.“ Das reichte jedoch gegen den Spanier, Nummer 187 der Weltrangliste, der erst durch die Qualifikation ins 56er-Hauptfeld gekommen war.

Sein bestes Tennis mußte der gebürtige Leimener nicht zeigen, um das Achtelfinale zu erreichen. Die darbenden Massen störten sich nicht daran, sogar fehlerhafte Aufschläge wurden goutiert. Hauptsache, der ATP-Weltmeister bleibt dem Turnier nur möglichst lange erhalten – ein inniger Wunsch, den das Publikum mit Becker teilt. Der würde auch gerne sein erstes Sandplatz-Turnier gewinnen, „die letzte Herausforderung, die mir geblieben ist.“

Doch für den Australian-Open-Sieger, der „besser drauf ist als letztes Jahr“, sind es noch vier Spiele bis zum Happy End – heute wartet der Österreicher Gilbert Schaller. Dann sind auch wieder die Fans auf dem vollbesetzten Centre Court zur Stelle: „Boris, wir lieben dich“ – selbst wenn ihr Idol ausscheiden sollte.

Siehe auch überregionale Leibesübungen. Weitere Ergebnisse: Schaller – Olchowski 7:5, 3:6 und 7:6, Boetsch – Karbacher 4:6, 7:5 und 7:6, Krajicek – Goellner 6:7, 7:6 und 6:4, Steeb – Ivanisevic 6:3 und 6:4