: Der Unfall mit der Kasse
■ Erwürgt die Berufsgenossenschaft die deutschen Privattheater?
Die Erzählung der Hamburger Privattheater-Intendanten und -Intendantinnen hatte etwas schildbürgerhaftes, wäre es nicht so ernst und bitter. Da gibt es eine Monopolorganisation öffentlichen Rechts, bei der alle Angestellten deutscher Theater zwangsversichert sind, die Berufsgenossenschaft, und diese erhöht mal eben ihre Beiträge um bis zu 300 Prozent, zahlbar: sofort. Widerspruch hat keine aufschiebende Wirkung und alle Proteste interessieren die Unfallversicherer nicht. Man solle doch prozessieren, ist deren kaltschnäuzige Antwort. Allerdings erst, wenn man bezahlt hat, sonst kommt der Gerichtsvollzieher.
Die Privatbühnen, die eh knapp kalkulieren müssen, zudem unter der neuen Ausländersteuer und Subventionskürzungen leiden, führt dieses Ansinnen oft an den Rand des Zahlungsunfähigkeit. Isabella Vertes etwa, Chefin des Ernst-Deutsch-Theaters, die statt 43.000 innerhalb von 14 Tagen plötzlich 90.000 Mark zahlen muß, weiß nicht, „wie ich ab Ende Juni die Löhne zahlen soll“. Ulli Waller von den Kammerspielen will die Zahlung verweigern und Ohnsorg-Intendant Christian Seeler, der die Erhöhung von 47.000 auf 103.000 Mark zur „staatlich tolerierten Beutelschneiderei“ erklärte, will bis zur letzten Instanz vors Gericht ziehen, weiß aber auch, daß dies für Theater, die das Geld nicht bezahlen können, keine Alternative ist.
Da die Berufsgenossenschaft nicht erklären will, warum Kassierer im Theater plötzlich in einer Gefahrengruppe mit Sportartisten und Stuntmen rangieren, sind die Betroffenen auf Vermutungen angewiesen. So glaubt Joachim Benclowitz vom Bühnenverein, daß die Musicals die Verletzten produzieren, die die ganze Theatersolidargemeinschaft jetzt auszubaden hat. Waller dagegen vermutet eine Schröpfung für Schulden aus Ostdeutschland.
Was man außer Klagen noch unternehmen will, weiß allerdings keiner so genau. Hoffnungen auf Presse und Politik sowie auf den Erfolg einstweiliger Verfügungen sind alles, was die ratlosen Theaterleiter anbringen. Allerdings hat die Hamburger Kulturbehörde bereits klargestellt, daß sie gegen gesetzliche Verpflichtungen keine Mittel hat. „Mehr als ideelle Unterstützung können wir in diesem Fall nicht bieten“, so Sprecher Ingo Mix.
Till Briegleb
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