Über den Umgang mit Knigge ...

■ ... gibt es viel zu lernen, denn der Adolph Freiherr Knigge wird erst 200 Jahre nach seinem Tode bei einem Bremer Symposion in allen Facetten entdeckt

Knigge – was für ein Name, was für Assoziationen und was für falsche. Daß sich Knigge weder von knickerig, Knickebein noch vom Cafe Knigge ableitet, zu dieser Grundlektion hatte der vorbereitende Medienrummel um den Bremer Schriftsteller ausgereicht. Und daß Knigge zuständig ist für die richtige Handhabung des Fischbestecks, hatte man als das große Mißverständnis enttarnt. Heute, 200 Jahre nach seinem Tod, gilt es, den ausgesprochen vielseitigen Schriftsteller und Zeitgenossen zu entdecken. Noch ist das wissenschaftliche Pionierarbeit, der sich ein zweitägiges Knigge-Symposion widmete, das in der Oberen Rathaushalle die Knigge-Forscher zum Gespräch versammelte.

Unter dem Titel „Schriftstellerei ist öffentliche Mitteilung der Gedanken“ stellten vierzehn Spezialisten Knigge als den Aufklärer, Politiker, Komponisten und Pädagogen, aber auch Theaterdirektor und Gründer des Illuminatenzirkels vor.

Dies sind die ersten Früchte der Knigge-Forschung, die sich vor etwa 20 Jahren zu formieren begann. Federführend, ja voranpreschend in diesem Zusammenhang: Professor Paul Raabe, der im Jahre 1977, damals noch Direktor der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel die erste Ausstellung zum Aufklärer Knigge arrangierte. Heute, wo Prof. Raabe die Rettung der seit DDR-Zeiten darniederliegenden Bibliotheks-Bestände der Franckeschen Stiftung in Halle betreibt, ordnet sein Vortrag den Aufklärer Knigge in das geistige Umfeld der norddeutschen Aufklärung ein. Ziemlich pragmatisch sei Knigges Selbsteinschätzung als freier Autor gewesen. Mit Zeilenschinderei und „um's Brod“ habe er geschrieben in einer Situation, in der Stand des Berufsschriftstellers zusammen mit dem plötzlich expandierenden Buchmarkt entsteht. Plötzlich werden Bücher in solch überraschender Menge gedruckt, daß sie zum Verbreitungsmedium des Aufklärungsgedankes werden. Knigge habe sich in seinen Grundgedanken durch die Französische Revolution bestätigt gefühlt und damit eine herausragende Position unter den Zeitgenossen, besonders aber als Adeliger, eingenommen. Zum Vergleich sei Schiller angeführt, der noch in der ersten Nummer der 1784 erscheinenden Literaturzeitschrift, den „horen“, deren Ferne vom Zeitgeist geradezu rühmte.

Unter den Vorträgen dominierten die originellen Themen, die die unterschiedlichen Aspekte Knigges in allen Facetten auffächerten: Prof. Hans-Albrecht Koch referiert unter dem Titel „Knigge und Amerika“ über das Verhältnis zum glücklosen Bremer Kaufmann Delius, der sich als Vorfahr des Schriftstellers F.C.Delius herausstellt. Dr. Peter Ulrich berichtet von Knigge und der Bremer Domgemeinde im späten 18. Jahrhundert. Und Dr. Wolfgang Griep unter dem Titel „Im Spießglas“ über Knigges Reiseromane.

Überraschend und bestätigend für das Interesse am Symposion, das zum ersten Mal den Stand der Forschung referierte, ergab sich bereits am ersten Tag eine wissenschaftliche Kontroverse, die gewissermaßen das Thema vorwegnehmend die Kniggesche Forderung nach Geselligkeit auch unter der Gemeinschaft der Forschenden einlöste. Ausgerechnet zum Thema „Schöne Geselligkeit“ ergab sich die schönste Kontroverse in Geselligkeit.

Prof. Gert Sautermeister aus Bremen stellt Knigge in eine Linie mit dem Philosophen Schleiermacher, da beiden gemeinsam die Erwartung an die „Geselligkeit“ sei. Das Beisammensein im halböffentlichen Raum, etwa im Cirkel oder Club erfülle eine Glücksvorstellung der Selbstentfaltung, die im Privaten, wo der Alltag zwischen den Eheleuten und die Häuslichkeit mit dem Personal als drückend empfunden werden, nicht vorkommt.

Dem widersprach Prof. Karl-Heinz Göttert aus Köln vehement. Schon der Vergleich zwischen Schleiermacher und dem 40 Jahre eher verstorbenen Knigge sei unzulässig. Die Gemeinsamkeiten nebensächlich, Trennendes in der Philosophie entscheidend. Statt Harmonie wie bei Knigge, bei Schleiermacher der strittige Dialog, der wie bei Kleist in der berühmten Rede von der „allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden“ diese im strittigen Dialog herstelle. Sicherlich ist das letzte Wort zum Thema Knigge noch nicht gesprochen – ein gutes Zeichen, schließlich ein Beweis für die Komplexität des Freiherrn, der erst viel zu spät in seiner Modernität entdeckt wurde. Ein bißchen Knigge kann sich übrigens auch der gemeine Bremer abholen: die Konditorei Knigge kann zwar keine direkte Erblinie zurückverfolgen, vermutet in dem backenden Urgroßvater eine uneheliches Kind der adeligen Familie. rau

Anschließend an das Symposion erscheint in der Edition Temmen ein Band der sämtliche Voträge enthalten wird.