Existenzfragen vor der Toilettentür

■ „Charlie Chan ist tot“ – oder wenigstens fast. Seit Montag stellt eine Lesereihe in der Literaturwerkstatt einen Querschnitt asiatisch-amerikanischen Schreibens vor

In den 30er Jahren tummelte sich eine chinesische Figur in der Bilderfabrik Hollywoods: der Detektiv Charlie Chan, den der Kriminalautor Earl Der Biggers 1925 geschaffen hatte. Stets von einem weißen Schauspieler mit gelblich geschminktem Gesicht gespielt, sprach der dickliche Chan ein kryptisches Englisch, verkündete konfuzianisch angehauchte Unsinnigkeiten und prägte lange Zeit das Bild, das weiße Amerikaner von asiatischen Einwanderern hatten.

Heute, sagt David Eng, sei Charlie Chan „eine tote und begrabene Gestalt“. Der Literaturwissenschaftler, der an der New Yorker Comlumbia University lehrt, referierte zum Auftakt der Lesereihe asiatisch-amerikanischer Autoren, wie sich das Klischee auflöste:

Im Zuge der Bürgerrechtsbewegung fanden die Einwanderer ein neues politisches Selbstbewußtsein, mit dem sie in die Öffentlichkeit drangen. Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunftsländer teilten sie die Erfahrung, als Bürger zweiter Klasse behandelt zu werden, als billige Arbeitskräfte geduldet, aber nicht akzeptiert zu sein. Auf diese Gemeinsamkeit stützt sich der Begriff „asiatisch- amerikanisch“. Sinn mache dieses Etikett allerdings nur, so David Eng, wenn man es nicht starr auffasse. Denn die Gruppe, die es bezeichnet, ist alles andere als homogen.

Entsprechend uneinheitlich ist ihre Literatur, die seit einigen Jahren in den USA viel beachtet wird. Eine Kontroverse verlief zwischen der Aiiieeeee!-Gruppe um Frank Chin, Jeffrey Paul Chan, Lawson Fusao Inada und Shawn Hsu Wong einerseits und feministischen Schriftstellerinnen wie Maxine Hong Kingston andererseits. Die Aiiieeeee!-Gruppe arbeitete mit einer an Kampf- und Kriegskunst angelehnten Bilderwelt. Den Autorinnen, die sich sowohl wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit als auch wegen ihres Geschlechts diskriminiert fühlten, warf sie kulturellen Ausverkauf und Anbiederung an westliche Werte vor.

Solche Grabenkämpfe sind inzwischen einer großen Vielfalt von Themen und Stilen gewichen. So widmete die renommierte Zeitschrift Amerasia kürzlich eine Ausgabe schwulen und lesbischen Schriftstellern asiatischer Herkunft, die Erfahrungen der verschiedenen Einwanderergeneration werden literarisch fruchtbar gemacht, und zugleich dehnt sich der Begriff der asiatisch-amerikanischen Literatur auch auf solche Autoren aus, die ihre Heimat nicht in den USA sehen, sondern sich ihren Herkunftsländern wieder – oder noch – verhaftet fühlen und zweisprachig arbeiten.

Die Lesereihe der Literaturwerkstatt versucht, diese Vielfalt abzubilden. Am Montag etwa las Hishaye Yamamoto die autobiographisch geprägte Erzählung „Feuer in Fontana“, die sich um den Rassismus der 60er Jahre dreht. Die 1921 geborene Autorin, die wie viele Amerikaner japanischer Herkunft während des Zweiten Weltkriegs in einem Umsiedlungslager in Arizona festgehalten wurde, schreibt über Alltägliches wie die Unsicherheit, die die Ich-Erzählerin vor Toilettentüren befällt, die für Schwarze oder für Weiße ausgewiesen sind.

Während Yamamoto ganz konventionell erzählt, sprengen jüngere Autoren narrative Traditionen. Der 27jährige Zamora Linmark, der auf den Philippinen geboren wurde und seit 1977 auf Hawaii lebt, verwischt in seinen Arbeiten die Grenze zwischen Lyrik und Prosa. In „Remixing America“ etwa verquickt er Zitate aus Popsongs und Werbung zu einem Text, den man getrost funky nennen darf. Sexualität wird offen verhandelt, aber nie als hohle Provokation, sondern witzig und voller mehrbödiger Sprachspiele.

Yamamoto und Linmark zeigen, daß sich die Literatur wie auch die Lebensentwürfe innerhalb der asiatisch-amerikanischen Gemeinde kaum auf einen Nenner bringen lassen. Dennoch stellte sich während der Diskussion am Montag die Frage, ob es die Klischees nicht doch noch gebe.

Yamamoto bezweifelte etwa, daß die literarische Produktion auf die Bilderwelt der WASP-Medien rückwirke, und David Eng räumte ein, daß es den Gemeinplatz von der Vorzeigeminorität gebe, die es trotz des Rassismus zu etwas gebracht habe. Zugleich sei ein politischer backlash spürbar, der sich unter anderem in der „English only“-Bewegung ausdrücke. In diesem Sinne variierte Eng schließlich auch seine Aussage über Charlie Chans Ableben: „Vielleicht sollte ich sagen, daß Charlie Chan an der Herz-Rhythmus-Maschine hängt.“ Cristina Nord

Heute, 19.30 Uhr: Film von Hishaye Yamamoto; ab 20 Uhr: Lesung von Faye Myenne Ng und David Wong Louie, Literaturwerkstatt Berlin, Majakowskiring 46–48, Pankow