Zu doof zum Titel

Ein Unterschied namens Eilts: Werder versaut den Bayern mit einem 3:2-Erfolg die Meisterschaft  ■ Aus Bremen Jochen Grabler

Das wär's dann gewesen mit der Meisterschaft. Franz Beckenbauer spielte den Gelassenen, als er sich am Dienstag abend in den proppevollen Presseraum im Bremer Weserstadion schob. Aber innerlich kochte der Mann. Die Bayern haben vergeigt. „Wir hatten ohnehin nur noch eine Minimalchance“, meinte Beckenbauer. Da sei es doch besser, die Mannschaft verliert jetzt, als am letzten Spieltag wegen des schlechteren Torverhältnisses Zweiter zu werden. Und ansonsten: „Ja gut, des is a Fußballspiel.“ Und was für a Fußballspiel.

Die Erkenntnis des Abends: Bayern ist zu doof für die Meisterschaft. 2:0 geführt und am Ende 3:2 verloren. Dabei hatte für die Kaiserlichen alles so prima angefangen, schon lange vor dem Anpfiff. Die Münchner hatten nach Kräften versucht, Unruhe in die Bremer Mannschaft zu bringen. Noch am Mittag hatte die Bayern-Führung mit Uli Hoeneß an der Spitze mit der Werder-Crew zusammengesessen und über den Transfer des Jahres verhandelt. Basler nach München, dafür Herzog mit ein paar Millionen obendrauf zurück an die Weser. Die Scheckheftdiplomatie hatte gleich doppelten Erfolg. Erstens wird der Wechsel klappen, das lehren die halben Dementis von Werder-Manager Willi Lemke: „Wir haben auch über anstehende personelle Fragen gesprochen, aber wir haben Stillschweigen vereinbart.“ Und zweitens begann Werder gerade so, als ginge es wieder mal gegen Eintracht Frankfurt und nicht gegen die verhaßten Bayern und nachgerade um „Rache für Otto“.

Kurzum: Zehn Bremer gurkten eine halbe Stunde auf dem gewohnt schlechten Niveau der letzten Wochen, und Basler meinte, der Welt beweisen zu müssen, daß er tatsächlich der Megastar ist, als der er verkauft werden möchte. Bloß fabrizierte er, aufgedreht wie er war, genauso viele Fehler wie der Rest der grün-weißen Truppe. Immer wenn Werder in der Vorwärtsbewegung war, mußte es dem Bremer Publikum angst und bange werden: Das Team besaß eine Fehlpaßgarantie. Die Bayern dagegen, cool wie in alten Zeiten, spielten mit zwei, drei kurzen Pässen die Werder-Hintermannschaft noch schwindeliger, als sie ohnehin schon auf den Platz gegangen war. Zweimal Kostadinow, 2:0. Das sind die Momente, in denen das Stadion still wird, ganz still, und die Menschen lieber die Hände vors Gesicht schlagen, damit sie das Elend auf dem Platz nicht mehr länger angucken müssen. Die Bayern hatten die hilflos dahinstopselnden Bremer im Griff. Ein Desaster bahnte sich an.

Ein Desaster fand statt, aber eines der Bayern, eingeleitet durch den Treppenwitz der Saison. Hauptperson: Bernd Hobsch, Werder-Mittelstürmer, oft und zu Recht gescholten wegen chronischer Abseitsstellung und technischer Mängel. Eben dieser Hobsch stand – im Abseits, mitten im Strafraum, alles wie gehabt. Da köpfelte Christian Ziege den Ball in Richtung Kahn, nicht ahnend, daß da noch einer aus Bremen stehen könnte. Stand aber, Hobsch hielt den breiten Schädel hin, und plötzlich stand es nur noch 1:2. Ausgerechnet Hobsch. Ausgerechnet die Bayern, die doch immer solche Spiele nach Hause geschaukelt haben, zerbröselten zu ratlosen, bleibeinigen Einzelfiguren – und das vor den Augen des großen Motivators.

Und ausgerechnet die Bremer, die in dieser Saison in keinem Spiel mehr als zwei Tore geschossen haben und die zu Recht darum bangen mußten, nicht noch in die Abstiegszone zu geraten, spielten endlich wie eine Mannschaft. Die Differenz des Dienstag abend hat einen Namen. Der Name ist Eilts, Dieter. Bei den Bayern gab es keinen, der das Spiel an sich und die Mannschaft mitgerissen hätte. Matthäus: bemüht, mehr nicht. Klinsmann: im Formtief. Sforza: Totalausfall. Dagegen hatten die Bremer immerhin Basler: phasenweise brillant. Votava und Scholz: die Ankurbler. Marco Bode: trickreich, schnell und zweifacher Torschütze. Und eben Eilts, die Bremer Seele, Magic Dieter: unprätentiös, überall (und zwar gleichzeitig), unumspielbar und immer mit dem Blick nach vorne.

Das Stadion kochte: „Ohne Otto habt Ihr keine Chance.“ Nach dem Abpfiff fielen die Spieler um wie die Fliegen. Die Bayern in Depression, die Bremer aus Erschöpfung. „Die Meisterschaft ist abgehakt“, sagte hernach Franz Beckenbauer. Jetzt kann sich die Mannschaft ganz auf den Europapokal konzentrieren – und auf den fußballgenialen Irren aus Bremen. Solange sie Eilts nicht dazukaufen, muß Bremen nicht bange sein.

FC Bayern München: Kahn - Matthäus - Babbel, Helmer - Frey (57. Hamann), Strunz, Sfozra (85. Witeczek), Scholl, Ziege - Klinsmann, Kostadinow (55. Zickler)

Zuschauer: 30.000 (ausverkauft)

Tore: 0:1 Kostadinow (14.), 0:2 Kostadinow (23.), 1:2 Hobsch (42.), 2:2 Bode (49.), 3:2 Bode (65.)

Werder Bremen: Reck - Wolter - Baiano, Ramzy - Scholz, Basler, Votava, Eilts, Cardoso (85. Wiedener), Bode - Hobsch (75. van Lent)