Südafrikas letzter Jubeltag

Mit Chorgesang und Ovationen gibt sich Südafrika nach einem mitternächtlichen Kompromiß eine endgültige neue Verfassung  ■ Aus Kapstadt Kordula Doerfler

Im neoklassizistischen Parlamentsgebäude von Kapstadt herrscht ausgelassene Stimmung. Vielen Abgeordneten in der Nationalversammlung ist Erleichterung anzusehen – und tiefe Erschöpfung. „Ich bin sehr glücklich und sehr müde“, sagt Cyril Ramaphosa, der Vorsitzende der Verfassunggebenden Versammlung, vor Beginn der Sitzung. Nicht zuletzt Ramaphosas Verhandlungsgeschick ist es zu verdanken, daß sich die Nationale Partei unter dem letzten weißen Präsidenten Frederik Willem de Klerk und der Afrikanische Nationalkongreß (ANC) unter Präsident Nelson Mandela doch noch in allerletzter Minute einigen konnten. Nach dem Durchbruch in den frühen Morgenstunden stand der Verabschiedung von Südafrikas erster demokratischer Verfassung nichts mehr im Wege.

Sowohl für Ramaphosa als auch seinen Stellvertreter von der Nationalen Partei, Leon Wessels, ist es die letzte Amtshandlung als Abgeordnete. Beide haben angekündigt, nach der Verabschiedung der Verfassung ihr Mandat niederzulegen. „Heute ist ein Tag der Freude und ein Tag zum Feiern“, sagte Ramaphosa in seiner Rede. „Heute ist der Tag, an dem Südafrika als Regenbogennation wirklich geboren wird.“

Doch ist es Thabo Mbeki, als Stellvertreter und designierter Nachfolger von Nelson Mandela vermutlich Südafrikas nächster Präsident, der das Motto des Tages setzt. „Ich bin ein Afrikaner“, erklärt Mbeki mehrmals in seiner von peinlichem Pathos durchsetzten Rede: Südafrika gehöre heute allen, Schwarz wie Weiß. Mbeki hat Ramaphosa kürzlich im ANC- internen Machtkampf um die Mandela-Nachfolge besiegt. Die Spannung zwischen den beiden ist spürbar, durch geqältes Lächeln nur mühsam verdeckt.

Redner aller Parteien nehmen in ihren Beiträgen Bezug auf Mbekis Äußerung. Auch der zweite Vizepräsident und Vorsitzende der Nationalen Partei, Frederik Willem de Klerk, und der Chef der Demokratischen Partei, Tony Leon, verweisen auf die Einwanderungstradition Südafrikas und nehmen für sich als Weiße in Anspruch, Afrikaner zu sein. Bemerkenswert ist das vor allem bei de Klerk. In der deutschen Übersetzung verschwindet der Unterschied; das weiße Burentum bezeichnet sich aber landläufig als Afrikaaner – in deutlicher Absetzung zu den Schwarzen, den Africans.

So ist De Klerks Ankündigung, seine Partei werde der Verfassung zustimmen, keine Überraschung mehr. Der letzte weiße Präsident Südafrikas macht aber noch einmal deutlich, daß die NP nicht mit allem glücklich ist. „Es ist keine perfekte Verfassung, aber sie ist ein vernünftiger Ausgangspunkt.“ Würde die Nationale Partei nicht zustimmen, entstünde die Gefahr, daß das jetzt Erreichte verschwinden werde und es zu einem konfrontativen Referendum komme.

Als schließlich das Abstimmungsergebnis verkündet wird, ist es mucksmäuschenstill im Saal. 421 Abgeordnete aus beiden Kammern der Nationalversammlung stimmen mit Ja, die erforderliche Zweidrittelmehrheit ist erreicht. Nur die christlich-fundamentalistische „Afrikanische Christlich-Demokratische Partei“ (ACDP) stimmt dagegen, aber sie hat nur zwei Abgeordnete. ANC, NP, DP und der Panafrikanische Kongreß (PAC) haben zugestimmt, die rechte Freiheitsfront hat sich enthalten. Die Inkatha-Freiheitspartei unter Innenminister Mangosuthu Buthelezi ist gar nicht da, denn sie boykottiert die Verfassungsgebung seit über einem Jahr.

Dann bricht Jubel aus. Wie immer bei solchen Gelegenheiten wird spontan gesungen. Gesungen wird auch draußen vor dem Parlamentsgebäude. Der Parlamentschor singt ein eigens getextetes Lied: „Ein Gesetz für eine Nation“. Schon am Abend vorher, als drinnen noch fieberhaft verhandelt wurde, hat er das geprobt. „Es war gar kein leichter Weg“, geht die erste Strophe, „aber nun verstehen wir uns ein bißchen besser.“ Das werde sofort in die Charts aufsteigen, prophezeit Thabo Mbeki. Und zum Schluß wird an einem Wohnhaus gegenüber ein Wandgemälde enthüllt, das in vier Teilen die jüngste Geschichte Südafrikas zeigt. Nie wieder, verspricht Mandela, werde es in diesem Land Unterdückung geben.