Harte Keulen und Fehdehandschuhe

Beim „Sozialgipfel“ des DGB formiert sich ein breites Bündnis gegen die Bonner Politik. Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände legen gemeinsame „Sozialstaatscharta“ vor  ■ Aus Köln Walter Jakobs

Der IG-Metallvorsitzende Klaus Zwickel kündigte vor den gut fünfhundert TeilnehmerInnen des vom DGB organisierten „Sozialgipfels“ gestern das an, was „jetzt“ getan werden müsse. „Wir müssen den Worten Taten folgen lassen.“ Taten gegen den „Wortbruch“ der Bonner Koalition, um zu verhindern, daß sich die Regierung als „nur noch ausführendes Organ“ der Arbeitgeberverbände aufführe.

Auf das Angebot der Gewerkschaften, im Konsens Arbeitskosten zu senken und nach Alternativen zu suchen, habe Kohl mit der Verkündigung von Entscheidungen reagiert, „die Konflikte und Konfrontationen auslösen müssen“. Nun stehe auf der Tagesordnung, entschlossen darauf zu reagieren. „Die Teilnehmer des Sozialgipfels müßten Zeichen setzen, gegen Vereinzelung, Entmutigung und Resignation“. Vom Sozialgipfel müsse eine soziale Bewegung ausgehen, „die Druck macht für ein Bündnis für Arbeit in den Betrieben und Verwaltungen ebenso wie in der Gesellschaft“.

Auch Ursula Engelen-Kefer, die stellvertretende DGB-Vorsitzende, machte in ihrer Rede klar, wie sie sich die Reaktion der Gewerkschaften auf das Scheitern der Kanzlerrunde zum Bündnis für Arbeit vorstellt: „Wir müssen den Fehdehandschuh aufgreifen und uns jetzt auf die eigenen Kräfte besinnen.“ Für diese Sätze erhielt sie stürmischen Beifall aus dem Saal.

In dem Ringen „um die Erhaltung und Erneuerung des Sozialstaates“ wissen die Gewerkschaften dabei die Sozial- und Wohlfahrtsverbände – von der sozialdemokratisch orientierten Arbeiterwohlfahrt bis zum katholischen Caritasverband – auf ihrer Seite. In einer gestern veröffentlichten sechsseitigen „Sozialstaatscharta“ verspricht dieses neue Bündnis, „Widerstand zu leisten gegen den Abbau des Sozialstaats zu Lasten derer, die seiner bedürfen“.

Solche markige Worte kamen dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, zwar nicht über die Lippen. aber auch er hielt die Charta für richtig. „Soziale Leistungen sind kein Luxusgut, das man sich nur in besseren Zeiten leisten könne“, meinte er. Lehmann wünschte dem Dokument ebenso wie der oberste evangelische Kirchenführer, Klaus Engelhardt, viel „Beachtung und Erfolg“.

Und der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände, Jürgen Gohde, begründete die Beteiligung der Verbände an der Sozialcharta mit einer „gesellschaftlichen Umbruchsituation“, in der alles getan werde müsse, um den Sozialstaat zu sichern.

Ob Norbert Blüm mit seiner Beschwerde über den schrillen Aufschrei der Gegner des Bonner Sparprogramms auch die Kirchenoberen im Blick hatte, blieb unklar. Sicher ist, Blüm hält die „harten Keulen“ der Kritiker und das ganze Gerede vom „Anschlag auf den Sozialstaat“ für völlig deplaziert. Immerhin werde doch jede dritte Mark, die in Deutschland verdient wird, weiter für den Sozialstaat ausgegeben. Heribert Späth, der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, sprach gar von einer „geisterhaften Diskussion“, wenn auf jeden „Reformvorschlag“ mit einer strikten Verteidigung von „Besitzständen“ reagiert werde.

Als dieses Lied auch von einem Chemieindustriellen angestimmt wurde, platzte einem Mann aus dem Publikum der Kragen: „Und wie ist es mit den Besitzständen der Unternehmensvorstände?“ Auf die Antwort des Managers, „die verdienen weniger als Fußballspieler“, konterte der Zwischenrufer unter dem Gelächter des Saals: „Die sind auch besser.“

Als „viel zu schablonenhaft“ kritisierte der CDU-Bundestagsabgeordnete Ulf Fink die Diskussion: Die Kritiker nähmen „die Veränderungen in der Weltwirtschaft nicht wahr“. Während Handwerkspräsident Späth immerhin die hohe Belastung der Sozialkassen durch versicherungsfremde Leistung in Höhe von 130 Milliarden Mark als „nicht akzeptabel“ bezeichnete, schwiegen sich Fink und Blüm dazu weitgehend aus. Mit Späth sind sich die Gewerkschaften aber einig, daß diese versicherungsfremden Leistungen schnellstens von allen Steuerzahlern zu tragen sind.

Über eine Umschichtung dieser Gelder den Faktor Arbeit in den Betrieben zu entlasten ist das erklärte Ziel des DGB. Aber auf einen allgemeinen, weltweiten „Wettlauf um die Absenkung von Löhnen und Gehältern“ wollen sie sich nicht einlassen. Wer das zulasse, begebe sich, so Zwickel, in „eine Abwärtsspirale ohne Ende“. Mit Zwickel war sich der grüne Fraktionschef Joschka Fischer einig, daß es bei dem Sparpaket nicht um eine Sanierung, sondern um eine Strategie der gesellschaftlichen Zuspitzung gehe. Fischer wörtlich: „Ich fürchte, es geht um eine echte Systemveränderung.“

Dagegen wollen die Gewerkschaften nun mobilisieren – trotz der mäßigen Beteiligung an den 1.-Mai-Demonstrationen. Die lasse sich, so hofft der IG-Medien- Chef Detlef Hensche, durch „Aufklärung“ bei künftigen AKtionen wesentlich steigern: „Wenn wir das nicht packen, können wir uns abmelden.“