Der Musikbürgermeister

■ Eine Stunde zu Gast bei Peter Schulze, dem letzten der senkrechten Hörfunkredakteure und Perlentaucher im Meer musikalischer Banalitäten/ ein Porträt von LutzWetzel

Morgens, zehn Uhr, Radio Bremen. Die „Globale Dorfmusik“ geht über den Äther. Direkt aus dem Hörfunkstudio S 30. Auf der Fensterbank der letzte Papyrus der Stadt. Wahrscheinlich aus einer WG verstoßen. Gleich daneben eine Technik, die an Fernlenkwaffensysteme gemahnt. Bedient von einem Boy, der stilles Wasser aus der Flasche trinkt. Hinter der dicken Glasscheibe raucht ein Mann Qualmwolken in den Lampenschein und erzählt vom Eric Reed-Trio: Peter Schulze, Bremens Musikbürgermeister.

Peter Schulze, seit 26 Jahren Jazzredakteur von Radio Bremen und Perlentaucher, der im Meer des Banalen nach musikalischen Kostbarkeiten fischt. Legenden: 1973 das Keith-Jarrett-Konzert im Sendesaal– Musikgeschichte. 1978, als noch kein zigarillorauchender BMW-Cabriofahrer in ganz Deutschland den Namen kannte: Tom Waits. Oder: Gil Scott-Heron, Bruce Cockburn, June Tabor, Tim Fischer, Holly Cole. Alle standen sie in Bremen auf der Bühne, als man sich in anderen Städten noch an Müller-Westernhagen oder Gitte berauschte.

Vielleicht hat Peter Schulze nicht mehr als den Job gemacht, den man von ihm als Hörfunkredakteur erwarten kann. Aber es gibt eben auch genug Hörfunkredakteure, denen nicht mehr als die Überleitung zum nächsten Musiktitel einfällt, die mittelmäßige Kriminalromane mittelmäßig rezensieren.

Peter Schulze hat das musikalische Leben und den Geschmack vieler Menschen dieser Stadt beeinflußt und geprägt. Viele hundert Konzerte fanden statt, die es ohne Peter Schulze nicht gegeben hätte. Erhat ein Stück eigener Musikkultur in Bremen geschaffen. Ein Maß an persönlichem Engagement, das bei Angestelltenverhältnissen nicht gerade üblich ist.

Zugeständnisse an die nach unten offene Träller-Skala hat es dabei selbst dann nicht gegeben, wenn diese gelegentlich auf dem Weg der Dienstanweisung verfügt werden sollte: „Für uns gilt ganz brutal nur der eigene Geschmack“, sagt Peter Schulze, der zum Glück einen ziemlich guten hat; „wir wollen intelligente Musik intelligent zusammenstellen. Die Leute sollen uns lange und intensiv zuhören. Das ist unsere Vorgabe. Einschaltquote ist dabei nebensächlich.“

Längst hat der Computer bei Radio Bremen die Musikzusammenstellung übernommen. Nicht so in Schulzes Kammer. Dort macht man immer noch ein handverlesenes Programm.Kein anderer deutscher Sender wagt es, eine Stunde wie die tägliche „Globalen Dorfmusik“ vor Einbruch der minderheitenfreundlichen Dunkelheit auszustahlen. Eine Sendung, in der nicht über Peter Handke, nicht über Mario Basler und nicht über Henning Scherf gesprochen wird. „Wir reden über Musik. Das ist das Wesentliche.“

Immer noch quält er sich durch das unentwegt nachwachsende CD-Gebirge von Neuerscheinungen. „Das kostet manchmal Überwindung. Aber dafür gibt es immer noch Momente der Entdeckerfreude, Augenblicke des Staunens und des Stolzes, etwas Gutes und Neues gefunden zu haben.“ Das gibt er dann nach Gebrauch, für alle verwandten Seelen, ganz uneigennützig ins Bremer „Klaus Kuhnke-Archiv für populäre Musik“. Auch das eine Schulze-Initiative.

Und da war noch der Film über die schönste Liebesgeschichte der Welt. Die Jahre in der Türkei. Der Krach mit Hörfunkchefin Karola Sommerey ...– längst vergessen. Es gibt so viel Wichtigeres zu entdecken und in die Welt zu senden.

Die Stunde der „Globalen Dorfmusik“ nähert sich dem Ende. „Orchids in the Moonlight“, ein schräges stück einer Dinner-Jackett-Combo. Sperrige Klänge von Jan Gabarek perlen aus demLautsprecher im Studio. Hinter der dicken Scheibe moderiert Schulze den Abschied vom Hörer. Aus einem der Nachbarstudios wehen Akkorde von Roberto Blanco herein. Der letzte Papyrus Bremens auf der Fensterbank erzittert. Lutz Wetzel