Kein Gewinn!

■ Kunsthallen-Chef Uwe M. Schneede stellte die Ausstellungen des Jahres 1995 vor

Über mangelnden Zulauf kann der Direktor der Hamburger Kunsthalle nicht klagen: 466 815 Besucher zählte das Haus 1994. Das sind dreimal so viel wie 1992. „Ich weiß gar nicht, was da überhaupt passiert“, sagte Uwe M. Schneede gestern bei seinem Jahresüberblick für die Presse. Doch zweierlei trübt dieses schöne Ergebnis: Eigentlich ist das Haus für eine Viertelmillion Besucher, wie bei der Guggenheim-Ausstellung, baulich nicht ausgestattet (da ist mit dem Neubau Abhilfe in Sicht), und trotz allem macht die Kunsthalle keinen Gewinn.

Die zusätzlichen Einnahmen aus den populären Ausstellungen und die Sponsorengelder sind notwendig, um die laufenden Kosten zu decken. Mit Subventionen des Kulturhaushaltes allein ist der Betrieb nicht mehr aufrecht zu halten. Um so reichlicher fließt privates Geld. Für die pro Kompartiment fünfzigtausend Mark teure Restaurierung des alten Prunktreppenhauses fanden sich mehr Spender als benötigt.

Auch 1995 setzt Uwe M. Schneede auf große Ausstellungen der klassischen Moderne. Da werden in der Kuppel ab Mitte März die zwanzig Selbstbildnisse zelebriert, die Vincent Van Gogh 1886/87 in Paris malte. Das Amsterdamer Museum hat sie jüngst restauriert und neu gefasst, so daß auch die teils rückseitig aufgebrachten Bemalungen zu sehen sind. Hamburg ist nach Amsterdam der einzige Ausstellungsort. Aus dem Duisburger Lehmbruck-Museum kommt im Sommer die Schau: Pablo Picasso – Wege zur Skulptur. Bisher wenig veröffentlicht, belegen zwei Skizzenbücher von 1928, wie genau Picasso die Plastiken seiner surrealistischen Phase zeichnerisch erarbeitet hat. Einige dreidimensionale Arbeiten lassen den Entstehungsprozess von der ersten Idee bis zur realisierten Skulptur verfolgen. Wissenschaftliches Neuland betritt die weltweit erste große Retrospektive der Zeichnungen von David Hockney, die gemeinsam mit dem Künstler für August erarbeitet wird. Die 170 Blätter werden anschließend in Londons und Los Angeles gezeigt.

Bereits im Mai wird im Vorgriff auf die Einrichtung im neuen Haus die langfristige Leihgabe von Fluxus-Kunst und „Nouveaux Realistes“ (Filliou, Yves Klein, Paik, Vostell etc.) aus der Sammlung Cremer gezeigt. Und für November entwickelt der in Italien lebende Star der metaphysischen Minimal Art, Jannis Kounellis, eine spezielle Arbeit für den Kuppelsaal.

Sechs kleinere, kulturgeschichtlich aber oft sogar interessantere Ausstellungen runden das Angebot ab: Blätter vom Zeichner-Poeten Gerhard Rühm; zwei Räume und eine Klanginstallation des Hamburgers Klaus Kumrow; eine Nachforschung über die Kant-Büste von Friedrich Hagemann, deren Auftrag aus Hamburg kam und ein spezielles Licht auf die besondere, hiesige Wertschätzung des Philosophen wirft; des ehemaligen Direktors C.G. Heises Sammlung von Fotografien der 20er Jahre; Zeichnungen und Aquarelle des utopischen Architekten aus der „gläsernen Kette“ Hermann Finsterlin und eine Analyse der holländischen Kircheninterieurs, die die fünf sehr guten Gemälde der Kunsthalle mit zwanzig Leihgaben aus Amsterdam vereint.

Hajo Schiff