Fein blanchierte Mythen

■ Kampnagel: Gabriella Bußackers hübsche „Glücksbagatellen“

Sucht man im Spiel mit Angst, Depression, Melancholie, Verzweiflung und Sehnsucht nach einem Atomkern, so stößt man unweigerlich auf „Das Glück“. In der Rolle des abwesenden, des verleugneten, des verlorenen oder des verweigerten Glücks zirkuliert es einen Kreis aus Geschichten die, wenn man sie weder zu ernst noch zu salopp nimmt, an bilderreichem Ertrag kaum zu überbieten sind. Dabei müssen kaum schwere Zeichen und große Gesten erfunden werden, denn um das unerreichte Glück kreist mehr gesellschaftliche Gemeinsamkeit als um irgendein Thema sonst.

Der verhuschte Kuß der verweigerten Sünde, die kurze Berührung mit fleischgewordener Phantasie, das Schwelgen in Genüssen, die der Mensch erst bemerkt und erzeugt, wenn er traurig ist, die angstvolle Beschäftigung mit den geheimen Symbolen der körperlichen Dialoge – all dies flaniert bei jedem Menschen beachtet oder ignoriert so fortwährend an dem Auge der Seele vorbei, daß kurze, fein ausgewählte Worte und Bewegungen ausreichen, um ganze Leidensgeschichten an den Haaren aus dem Sumpf des Vergessens zu ziehen. Wenn dies klug komponiert ist, dann lacht der Mensch darüber.

Bei Gabriella Bußackers Glücksbagatellen hat das geklappt. Ihr Mosaik aus Blicken und Andeutungen, Geschichten und Ritualen, Burlesken und Pastoralen ergibt zwar keinen narrativen Fries über das Glück (Gott sei's getrommelt und gepfiffen, denn wie will man einen Atomkern mit einem Theater fangen?). Aber die mit mehreren Textfragmenten (u.a.: Michel Leiris, Aki Kaurismäki, Gertrude Stein), seidenen Choreografien und lächelnden Duetten erzielte Wirkung läßt die Mundwinkel im Schmunzeln schweben.

Durch die absichtliche Reduktion aller Ausstattungsmittel liegt die ganze Verantwortung der Bilderzeugung bei den vier Schauspielern (Edith Adam, Petra Bogdan, Matthias Breitenbach und Frank Meyer-Brockmann). Ein Stuhl für jeden, 12 Dosen Bier, ein roter Vorhang im „Süden“, ein schwarzer im „Norden“ und eine Kompaßnadel, der Rest ist augenzwinkerndes Herbeizaubern von Atmosphäre. Die spröd-charmante Beschreibung eines Zimmers am Meer mit Klavier und Fischsuppenterrine oder die Erzählung eines versuchten Doppelselbstmordes folgt der Beschreibung des großen Individualistenmythos des Paris der Schwarzen und des Jazz und der Darstellung finnischer Lebens- und Trinkweisheiten in einer ungezwungenen präsenten Logik. Ein feines Spiel der kleinen Form.

Till Briegleb

Bis 28.1., Verwaltungsgebäude Kampnagel, IV. Stock, 21 Uhr